Berzbach Interview Alltag

Sinn  

»Ein guter Brief ist heute ein Großereignis«

Frank Berzbach darüber, was ihn im Alltag verzaubert

Schallplatten und Literatur sind Frank Berzbachs große Leidenschaften. Manchmal beobachtet er aber auch einfach andere Menschen – zum Beispiel beim Frühstück im Hotel. Sein neues Buch „Ich glaube an Engel, manche fahren Bus“ sammelt Essays aus dem Alltag, wenn er unterwegs ist auf dem Weg zwischen den „Galerien seines Lebens“. Darunter ist auch „Im Blaulicht der Einsamkeit“. Ein Interview über die Zwischenräume des Lebens.

Ihr neues Buch hat einen ungewöhnlichen Titel. Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Der Essay, der das Buch eröffnet, enthält das Engel-Motiv. Es ist ein Text über die Einsamkeit, aus der mich ein Busfahrer auf dem Land durch eine unerwartet liebevolle Geste gerettet hat. Ich möchte es nicht vorwegnehmen, aber nach dem Ereignis stand ich im Schneeregen, glücklich und ich hatte den Eindruck, ein Engel hätte in mein Leben eingegriffen. Solche Begegnungen habe ich sehr selten. Aber wir fanden einen busfahrenden Engel für meine Art, den Alltag als existenzielle Erfahrung zu thematisieren, ein gutes Bild.

Sie erzählen essayistisch von Alltagserfahrungen. Wird die „Ästhetik des Alltags“ gerne unterschätzt?

Traditionell widmet sich die Ästhetik natürlich den großen Kunstwerken, Gemälden, Bauwerken oder wir bewegen sie im Bereich des Produktdesigns als fachlicher Diskurs. Aber es gibt diese sehr alltäglichen Dinge, die mich in all meinen Büchern interessieren. Ernährung, Kleidung, Alltagsmedien, Liebe, Schreibwerkzeug, Schallplatten… ich finde das alles aufregend und bedenkenswert.

Im Buch findet sich ein Text, der sich damit beschäftigt, was passiert, wenn wir die Philosophie auf den Alltag loslassen. All meine Bücher lassen sich wenigen Hauptbegriffen zuordnen: die Kunst ein kreatives Leben zu führen, Formbewusstsein, Schönheit, Alltag, Arbeit, Popkultur.

Was hilft dabei, im Alltag mehr Schönheit zu entdecken?     

Es ist gut die Unterscheidung von kulturell bedeutenden von alltäglichen Dingen sporadisch zu ignorieren.

Der Alltag ist keinesfalls nur Routine und die Hochkultur keinesfalls immer besonders.

Ein guter Espresso kann ein Ereignis sein; manchmal übertrifft er, was ich in der Ausstellung gesehen habe. Wir begegnen schönen Menschen, hören eine angenehme Stimme, wir sehen in einen zauberhaften Vorgarten. Die Welt besteht nicht nur aus diesen angenehmen Dingen, aber eben auch! Ich kann mich, wenn ich sensibel bin, vor den ästhetisch erfreulichen Eindrücken gar nicht retten. (Und das sich auch das Gegenteil überall finden lässt, darüber kann man gekonnt und wohldosiert schweigen.) Wer will, dass sich die Schönheit ausbreitet, muss sie zuerst einmal wahrnehmen. Und das beginnt morgens vor dem Kleiderschrank. Ziehen Sie sich gut an, andere wird es erfreuen. Servieren Sie den Kaffee in schönem Porzellan, die Menschen sehen das. Kaufen Sie ihrer Liebsten Blumen. Nicht nur am Geburtstag. Schreiben Sie einen unerwarteten Brief.

Ein guter Brief, der eintrifft, ist heute ein Großereignis.

Diese handschriftliche Briefkultur gehört für mich zum Weltkulturerbe. Ich bin Romantiker. 

Wieso ist der Alltag auch in spiritueller Hinsicht so interessant für Sie und nicht der Sonntag?

Wenn wir kirchliche Räume betreten, erwarten wir sakrale Stimmungen. Im Alltag muss man sie suchen, aber auch da sind sie allgegenwärtig. Mir fallen immer wieder Zufälle, Fügungen, Ereignisse auf, die dann „sprechen“. Es können Mikromomente sein. Neulich sah ich zwei Kinder in traditionell jüdischer Kleidung – Hut, schwarze Anzüge – mit ihren Rädern in die Einfahrt einer Synagoge rasen, vielleicht waren sie zu spät. Diese Bänder wehten hinter ihnen her, sie fuhren atemlos im Stehen. Ich fand diesen Anblick ungewöhnlich schön und musste innhalten; für mich war das ein religiöser Moment am Rande eines Gotteshauses.

Manchmal reicht mir ein Lächeln eines Menschen und denke kurz: die Welt, das Leben, können ein Geschenk sein. Den Alltag so zu sehen, wird oft belächelt, aber ich wehre mich gegen das Anstarren und kommunikative Steigern vulgärer Ereignisse.

Warum suhlen sich die Menschen in den Niederungen, wenn sie in der gleichen Zeit das Schöne feiern könnten?

Ich möchte mich nicht ständig am Hässlichen infizieren, mich dann zynisch darüber erheben, um am Ende selbst kein Stück besser zu sein. Wir müssen die Schönheit schützen und vermehren, das Unerfreuliche ist von selbst da.

Im Buch erzählen Sie an einer Stelle, wie Sie vom Tod eines Studenten erfahren. Wie gehen Sie mit dem Tod und mit Schicksalsschlägen um?

Ich habe da weder ein Rezept noch übermäßig Erfahrung. In dieser Situation war ich in der Rolle, es den Studierenden sagen zu müssen. Das war nicht einfach, aber man reißt sich zusammen, es geht. Man ist da, hört zu. Ich habe für die nächste Seminarsitzung etwas zur Psychologie der Trauer vorbereitet, ein offenes Gespräch.

Es ist einige Jahre her und ich habe dazu aufgefordert, die Erinnerung an ihn wachzuhalten. Das habe ich mit meinem Beitrag im Buch nun getan. Es ist der einzige Studierende, über den ich jemals einen Text schrieb. Aber er ist mir immer noch nah. Man muss sich den Tatsachen stellen, wir haben im Hinblick auf die menschlichen Grenzsituationen keine andere Wahl. Wer sich ihnen nicht stellt, brütet die Pest aus.

Sie sind Autor und selbstständig und leben an zwei Orten. Wie bringen Sie Ruhe in Ihren Alltag?

Ruhe oder Unruhe haben wenig damit zu tun, ob man sesshaft ist oder unterwegs, es sind innere Kategorien. Ich lese viel in der Bahn, schreibe, ich treffe gern Menschen. Das sind meine Kraftquellen. Es gibt Tage, von denen weiß man schon am Morgen, sie können nicht ruhig verlaufen. Das zu akzeptieren macht es nicht angenehmer, aber immerhin erspart man sich die zusätzliche Wut auf manches, das unabdingbar ist.

Ich versuche, nicht zu viele Erwartungen zu haben, ich versuche,
nicht zu klagen.

Es wird sich zu viel beklagt, viele sehen sich als Opfer der Umstände oder weisen ständig Schuld zu. Ich bin dankbar dafür, wie ich derzeit arbeiten und leben kann. Dankbarkeit beruhigt, finde ich. Und in Bezug auf die Pflichten, halt ich mich an Kant: „Ich kann, weil ich will, was ich muss“. Es gelingt nicht immer, aber es ist eine hilfreiche Einsicht.

Das Interview führte Christoph Kraft.

Headerfoto: © Jenny Bartsch

Bereits 2020 haben wir Frank Berzbach zur Bedeutung von Arbeit interviewt.

»Ich glaube an Engel, manche fahren Bus«

Berzbach Glaube an Engel

„Ich glaube an Engel, manche fahren Bus. Essays in spiritueller Absicht“ ist im August 2022 beim Vier-Türme-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-7365-0450-9, 128 Seiten, 18 Euro).

Dr. Frank Berzbach, Jahrgang 1971, studierte Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literaturwissenschaft und unterrichtet Literaturpädagogik und Philosophie an der Technischen Hochschule Köln. Er lebt in Köln und auf St. Pauli.


Frank Berzbach

Jahrgang 1971, unterrichtet Literaturpädagogik und Philosophie an der Technischen Hochschule Köln. Nach einer Ausbildung zum Technischen Zeichner studierte er Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literaturwissenschaft. Über Wasser hielt er sich als Bildungsforscher, Wissenschaftsjournalist, Fahrradkurier und Buchhändler. Er hat eine Vorliebe für Schallplatten und Bücher, Tätowierungen und Klöster. Er arbeitet und lebt in Köln und auf St. Pauli. Zuletzt erschien: »Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags« im bene!-Verlag. 
www.frankberzbach.com

Foto: © Tristan Hachmeister

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