Frank Berzbach

Sinn  

»Man kann die Bedeutung von Arbeit gar nicht überschätzen«

Welcher Rolle spielt Arbeit? Ein Interview mit Frank Berzbach

Wenn sich Arbeit immer mehr im Homeoffice abspielt, wenn Teamarbeit ganz neu buchstabiert wird und wenn Privates und Berufliches immer mehr zusammenkommen, ist es an der Zeit zu fragen: Welche Rolle spielt Arbeit eigentlich im Leben? Und zwar für den Einzelnen und die Einzelnen – und für die Gesellschaft. Frank Berzbach unterrichtet Philosophie und Literaturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln und beobachtet seit langem, wie sich Arbeit und deren Bedeutung verändern.

Wenn wir schon über Arbeit sprechen – an was arbeiten Sie gerade?

Ich habe gerade einen Vertrag für ein neues Sachbuch unterschrieben; es wird ein Buch über die Kunst zu lesen, über Buchmenschen und Lebenskunst. Es ist gut, wieder ein klar umrissenes Projekt zu haben, innerhalb eines Rahmens kann ich mich gut bewegen. Aber es ist auch so gestrickt, dass viele Jahre Vorarbeiten, eigentlich mein ganzes Leseleben dort einfließen.

Wie haben Sie die letzten Monate erlebt? Gab es Herausforderungen, mit denen Sie nicht gerechnet haben?

Jetzt im zweiten Lockdown wird es etwas herausfordernder, finde ich. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau, hier haben Menschen eine Krankenversicherung. Ich wurde im Frühjahr viel befragt zum Thema Homeoffice, habe viel geschrieben und bin sehr viel durch die Stadt gewandert. Ich war ständig damit beschäftigt, die Situation mit Abstand zu sehen.

Mit den Studierenden habe ich mir die Weltliteratur zum Thema Pandemien angeschaut, Albert Camus, Stephen King. Mich hat die Arbeit an dem Thema, das alle beschäftigt, von Melancholie abgehalten. Ein Blick in die Historie zeigt, dass viele Länder, vor allem die von Frauen regierten, enorm gut mit der Lage umgegangen sind. Es läuft in den Ländern, in denen die Populisten an der Macht sind, am schlechtesten.

Ende Februar erschien mein erster Roman und dann der Lockdown, das war niederschmetternd. Ich habe bemerkt, dass öffentliche Veranstaltungen, Lesungen und so weiter doch ein wichtiger Teil der künstlerischen Arbeit sind. Man arbeitet lange allein und im Stillen und dann freut man sich, öffentlich darüber zu sprechen. Als das wegfiel, war nicht nur Sonnenschein in mir. Erstaunt war ich, dass virtuelle Formate nun so wichtig werden. Zeitweise hat man den Eindruck als Autor, das Arbeitsleben findet zwischen Textverarbeitung und Instagram-Auftritten statt.

Ist Arbeit überhaupt etwas Wichtiges im Leben? Welche Rolle hat sie eigentlich für den Einzelnen?

Der Alltag ruht auf wenigen Säulen: Arbeit, Liebe, Familie, Gesundheit – sobald eine davon wankt, erhöht sich der Druck auf alle. Wir verbringen mit der Arbeit sehr viel Zeit, in der Regel den ganzen Tag. Sie integriert in die Gesellschaft, bestimmt große Teile unseres Selbstbildes. Wenn man jemanden fragt, »Was machst du so?«, dann spricht man über seinen Beruf. Ich glaube, man kann die Bedeutung von Arbeit gar nicht überschätzen.

Daher mache ich mir in meinen Büchern dazu immer so viele Gedanken. Sogar in meinem Roman, der eine Liebesgeschichte erzählt, ist das Thema Arbeit immer präsent – in der brüchigen Arbeitsbiografie des Protagonisten.

Durch Arbeit formen wir die Welt, wir treten mit ihr in eine Wertegemeinschaft ein. Sie ist unser mächtigstes Instrument, die Selbstwirksamkeit zu spüren. Wenn ich mit Menschen gut zusammenarbeiten kann, hat das quasi freundschaftliche Auswirkungen – und zugleich komme ich mit Freunden auch ins gemeinsames Arbeiten. Es geht gar nicht darum, mehr oder weniger zu arbeiten, sondern heilsamer. Zumindest in den kreativen Bereichen, also für die Privilegierten.

Frank Berzbach

Gibt es etwas, das Sie beim Thema Arbeit mit Skepsis beobachten?

Die Welt ist noch immer von Sklavenarbeit gekennzeichnet, das übersehen wir gern. Die Kleidung, die wir tragen, die Schokolade, die wir essen — in fast allen Bereichen beruht unser Wohlstand auf unsichtbarer Ausbeutung. Und Rassismus ist in dieser Frage strukturell verankert. Deutschland würde ohne die mies bezahlten »niederen« Arbeitsverhältnisse gar nicht funktionieren; im untersten Segment lassen wir Menschen mit Migrationshintergrund die Pflegearbeit, Reinigungsarbeit und pure Schufterei machen.

In der Welt migrantischer Arbeit vor allem in einfachen Jobs gibt es oft weder Tarife, keinen geregelten Urlaub, es gibt endlose Arbeit, überlange Öffnungszeiten, die ganze Familie wird eingespannt. Und ohne Studierende in Aushilfsjobs würde die Gastronomie zusammenbrechen. Putzkräfte, Erntehelfer, Bauunternehmen, Fleischindustrie, viele Servicebereiche, Nagelstudios, Kioske … zum Teil rechtsfreie Räume, traurige harte Arbeitsrealitäten.

Wir sprechen viel über die gediegenen Arbeitsbereiche, die gut aussehen, mit gebildeten, attraktiven Menschen an ihren MacBooks. Wenn sie ihre Büros verlassen, kommen die anderen und halten alles sauber.

Die oberen 20 Prozent verdienen pervers viel und die unteren pervers wenig. Das finde ich ein Armutszeugnis für eine so reiche Gesellschaft, die sich auf christlich-abendländische Werte viel einbildet.

Es gibt Auffassungen, dass man Arbeit und Privatleben trennen sollte. Eine gute Idee?

Wenn Arbeit nur Schufterei ist, muss man ihre Zeit minimieren, wartet aufs Wochenende und den Urlaub. Diese Arbeit gehört nicht zum Leben, sie verhindert es. Wer auch nach dem Lottogewinn seine Tätigkeit weiter ausüben würde, der muss Arbeit und Leben nicht trennen. Wenn Arbeit schöpferisch ist, kann sie das Leben bestimmen und die Idee der Work-Life-Balance ist dann grundsätzlich falsch. Sinngebende Arbeit ist ein Glück.

Man muss auf die Arbeitsform achten, damit man nicht durch das Übermaß krank wird. Ich bin Hochschullehrer und Autor, ein Fulltimejob: 24 Stunden. Alles, was ich lese, jedes Wissen, dem ich begegne, jeder Museumsbesuch, Gang in den Plattenladen oder Buchladen, eigentlich alles, was ich tue, ist Vorbereitung und Übung für diese Arbeit. Und zugleich meine Leidenschaft. Ich schreibe dann über das, was ich sowieso tue.

Leben hat verschiedene Bereiche, aber es ist immer Leben. Nie Leben oder Arbeit.

Vielen sehen das Homeoffice als Fluch, andere als Segen. Welche Herausforderungen nehmen Sie besonders wahr?

Zwei bis drei Tage im Homeoffice sind produktiv und für viele von Vorteil. Zudem ändern sich die Strukturen der Büros, zwischen »shared desk« und anderen Bälleparadiesen. Die Unternehmen selbst sehen dann aus wie etwas unterkühlte Cafés, sie wollen instagramable sein, fragen aber die eigenen Angestellten selten, wie die gern arbeiten möchten. Das fällt dann oft auseinander. Die Entscheider in ihren eigenen Büros erfinden für andere offene Areale, die viele Nachteile haben, zumindest aus arbeitspsychologischer Sicht. Würde man partizipativ agieren, die Büros sähen anders aus. In diesen offenen Großraumbüros (die in der Regel viel zu klein sind für die Anzahl der Leute) erhöht sich der Stresslevel. Man ist abends allein schon davon erschöpft, wieviel um einen herum geschieht.

Wenn Arbeitgeber den Angestellten keinen Raum mehr bieten, dann ist die Arbeit zu Hause viel produktiver. Das kommt Unternehmen auch entgegen, sie können Bürofläche sparen. Die Freiheit für Arbeitnehmer nimmt zu, auch die zur Selbstausbeutung, zu entgrenzten Arbeitszeiten, zur fehlenden Pausenkultur und so weiter. Damit kommen erfahrene Menschen gut klar, aber eine Herausforderung wird Arbeit immer sein. Fürs Homeoffice braucht man Beratung, Weiterbildung, die Erfahrung älterer – dann überwiegen die Vorteile. Wir müssen in der digitalen Einsiedelei die Geselligkeit sichern, das ist zu Corona-Zeiten schwierig, aber insgesamt, zumindest in Städten, leicht zu organisieren. Co-Working-Spaces sind eine gute Sache. Und auch hier: Eine Familie mit zwei kleineren Kindern und beide Eltern im Homeoffice, das sind ungünstigste belastende Bedingungen, für die es kaum eine Lösung gibt.

Wenn Sie einen Rat frei hätten an jemanden, der gerade ins Arbeitsleben einsteigt – welcher wäre es?

Sich anstrengen, sich erst einmal an das Neue gewöhnen, aber nach einem Jahr dann schauen, ob es das ist, was man tatsächlich machen möchte. Wenn Arbeit einen beginnt krank zu machen, das Gespräch suchen. Bequemlichkeit überwinden. Darauf achten, welchen inneren, psychologischen Vertrag man mit dem Arbeitgeber eingehen möchte. Kann ich mich mit ihm identifizieren? Man kann sich immer mal wieder die Frage stellen, ob die Kollegen und Kolleginnen der Menschenschlag sind, mit denen man so viel Zeit seines Lebens verbringen will. Und zugleich: Nicht zu hohe Ansprüche haben, Arbeit wird niemals immer nur Spaß machen, immer nur »fließen«, sie ist keine Party.

Das Interview führte Stefan Weigand / Fotos: © Tristan Hachmeister


Frank Berzbach

Jahrgang 1971, unterrichtet Literaturpädagogik und Philosophie an der Technischen Hochschule Köln. Nach einer Ausbildung zum Technischen Zeichner studierte er Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literaturwissenschaft. Über Wasser hielt er sich als Bildungsforscher, Wissenschaftsjournalist, Fahrradkurier und Buchhändler. Er hat eine Vorliebe für Schallplatten und Bücher, Tätowierungen und Klöster. Er arbeitet und lebt in Köln und auf St. Pauli. Zuletzt erschien: »Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags« im bene!-Verlag. 
www.frankberzbach.com

Foto: © Tristan Hachmeister

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