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Zusammenleben  

Wolken über Polen

Eine Reise in das Herz Europas

Zum ersten Mal mache ich mich auf den Weg nach Auschwitz. Es gab immer gute Gründe, andere Reiseziele vorzuziehen. Und so habe ich mich von den üblichen Richtungen mitnehmen lassen, welche das deutsche Fernweh nahm: zu dem nahen Nachbarn Österreich und südlicher natürlich Italien, später auch westlich nach Frankreich und nördlich in skandinavische Welten. Auch nach 1990 blieb der Eiserne Vorhang im Kopf präsent.

Wenige entdeckten Tschechien und Polen als Reiseland – von der Ukraine, den baltischen Staaten und Russland ganz zu schweigen. Und vielleicht fand sich auch bei mir ein Teil des kollektiven Unbehagens, den Blick nach Osten zu richten und sich damit einer belasteten Geschichte zu stellen.

Nun bin ich überrascht, wie nah – nicht nur in Fragen der räumlichen Entfernung – uns das Land doch ist.

Von der bayerischen Heimat sind es wenige Autostunden und auch diese sind gesäumt von vertrauter Architektur und Landschaft. Die Grenze zwischen Bayerischem Wald und dem Böhmerwald wäre gar nicht auszumachen, wenn nicht irgendwann ein Schild auf die Landesgrenze verweisen und die Ortsnamen in einer anderen Sprache auftauchen würden. Nach Pilsen oder südöstlicher anreisend nach Budweis verlässt man bald die ausgedehnten mitteleuropäischen Waldgebiete und kommt über weites Land (an dem einladenden Prag oder dem wunderbaren Brünn vorbeifahrend) schnell zur polnischen Grenze.

Ein Himmel voller Wolken

Der Himmel ist voller Wolken und vielleicht ist es kein Zufall, dass es in der polnischen Sprache zwei Worte für Wolken gibt: Chmura, diese Bezeichnung wird häufiger verwendet und ist abgeleitet vom Adjektiv „chmurny“, was zu übersetzen ist mit „bewölkt, düster“ oder auch „finster“. Viel seltener verwendet wird das ebenfalls westslawische Wort Obłok, das nicht diese sprachliche Nähe zum Dunklen hat und literarisch für helle, weiße Wolken Verwendung findet.

Auch auf dem Weg nach Krakau begleitet uns ein Himmel voller Wolken und vieles bleibt vertraut.

Deutsche und polnische Ortsbezeichnungen geben sich immer wieder die Hand und erinnern an die gemeinsame Geschichte im Herzen Europas.

Wer sich durch das historische Krakau mit offenen Augen bewegt, der begegnet an jeder Ecke europäischer Tradition. Der gotische Dom lässt uns eintauchen in das mittelalterliche Weltbild und führt den Blick himmelwärts zur einzigartig gestalteten Decke. In den benachbarten Klöstern wurde das Wissen gesichert und weitergegeben, in dem sich auch die emanzipatorische Kraft des verantwortlichen Individuums verbarg. Glaube und Wissen rangen auch in dieser Stadt miteinander, Universität und selbstbewusstes Bürgertum entwickelten sich. Neben den Kirchen sind es Handelsniederlassungen und die berühmten Tuchhallen, die den zentralen Marktplatz prägen. Symbole des wirtschaftlichen Austausches, der auch immer zu einer Völkerverbindung, einer ersten Globalisierung der Welt des Handelns führte.

Und gleichzeitig sind es gerade einmal eineinhalb Autostunden von hier, an dem jener Ort liegt, in dem jegliche Form der Menschlichkeit verraten wurde. Alle Vorstellungen zunichtegemacht wurden, dass der Mensch als Abbild Gottes oder als Sinnbild des Erhabenen seine eigene Würde besitzt, die es stets zu schützen gilt. Und das alles mitten in Europa.

Headerbild: © *bonsai*/photocase.com


Siegfried Grillmeyer

Er ist seit 2008 Leiter des Caritas Pirckheimer Hauses, der Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, sowie Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Bildung sowie privat von Essays und Kurzgeschichten.
www.grillmeyer.info

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