Zusammenleben  

Unbequemer Mahner

CDU-Politiker Carsten Linnemann will ein anderes Deutschland und spart nicht mit Kritik am Politikbetrieb

Carsten Linnemann ist so etwas wie der »Chefreformer« der CDU. In seinem neuen Buch »›Die ticken doch nicht richtig!‹« skizziert er eine Vision von Deutschland als einem »Land der Experimentierräume«. Alte Strukturen will er aufbrechen und Neues wagen − auch im Politikbetrieb.

Seit 2009 sitzt Carsten Linnemann für den Wahlkreis Paderborn im Bundestag. Nach seinem Buch „Die machen eh, was sie wollen“ 2017, blickt er nun in „Die ticken doch nicht richtig“ erneut auf den Politikbetrieb. Er ist mit seiner Bilanz als Abgeordnetem unzufrieden: „Ich wollte mehr“. Nicht nur seine eigene Politikerbiografie, sondern Deutschland insgesamt liegt ihm am Herzen. In fast allen politischen Bereichen sieht er Nachholbedarf, um das Land fit für die Zukunft zu machen:

„Für mich stellt sich die Frage, ob unser Land überhaupt noch in der Lage ist, unser Niveau zu halten, ob wir noch die Kraft für echte Reformen haben.“

Kurzfristige Krisenbewältigung statt Zukunftskonzepten

Durch die gehäuft auftretenden Krisen der letzten Jahre sind für Linnemann viele Themen nicht angegangen worden: „Anstatt über Zukunft, Aufbruch und Dynamik haben wir in alle den Jahren, in denen ich im Bundestag bin, eigentlich immer nur über Krisen geredet.“ Im zweiten Kapitel diagnostiziert er deshalb in vielen Bereichen (Bildung, Bundeswehr, Bürokratie, Wirtschaft), was falsch läuft.

Seine eigene Partei nimmt er von der Kritik nicht aus, das wirkt authentisch, finde ich: Die CDU habe sich selbst inhaltlich entkernt, sich auf Kanzlerin Angela Merkel verlassen, strittige Themen nicht mehr angesprochen und sei im Bundestagswahlkampf 2021 nicht geschlossen aufgetreten. Damit habe die CDU anderen Parteien zum Aufstieg verholfen:

„Wenn Menschen nicht mehr wissen, wofür eine Partei steht, entsteht Orientierungslosigkeit und die politischen, oft polemisierenden Ränder gewinnen (…).“

Linnemann Rezension

Neue Ideen wagen, trotz Kritik

Carsten Linnemann ist schon früher durch „unbequeme“ Ideen aufgefallen. 2019 forderte er in einem Interview der „Rheinischen Post“ Sprachtests für Kinder im Vorschulalter. Sollten Kinder die Anforderungen nicht erfüllen, sollte der Besuch einer Vorschule verpflichtend sein, gegebenenfalls solle die Einschulung verschoben werden. Die dpa-Meldung fasste das Interview mit der Schlagzeile „Grundschulverbot für Migranten“ falsch zusammen. Von vielen Seiten wurde Linnemann aufgrund der falschen dpa-Meldung kritisiert, unter anderem von Katja Suding, die dies auch in ihrem Buch „Reißleine“ beschreibt, sich aber später bei Linnemann entschuldigte.

Linnemann spricht in 15 Bereichen in seinem Buch an, in denen er Verbesserungen will. Für seine Vorschläge wird er vermutlich − wie in der Vergangenheit − scharf kritisiert werden. Das von ihm unterstützte Gesellschaftsjahr für alle Schulabgänger wurde von allen anderen Parteien abgelehnt. Er hält weiterhin daran fest, dass jedes eingeschulte Kind sich auf Deutsch verständigen können muss. Außerdem will er ein eigenes Digitalministerium, weniger Beamte, einen anders und schlanker aufgestellten öffentlich-rechtlichen Rundfunk und eine bessere Streitkultur.

Der Wandel fängt bei mir an

Große Aufgaben stehen Deutschland bevor. Damit Linnemanns Vision eines „Deutschland kann mehr“ (so Angela Merkel 2013 auf dem CDU-Parteitag) wahr wird, spricht Linnemann auch Bereiche an, die auch für Politiker unbequem sind. Pensionen will er zugunsten künftiger Generationen kürzen, („Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum wir Politiker nicht selbst für unser Alter vorsorgen können.“), den Bundestag verkleinern und Amtszeiten für Bundeskanzler und Ministerpräsidenten auf maximal zwei mal fünf Jahre begrenzen.

Angesichts eines immer größer werdenden Regierungs- und Beamtenapparats meint er:

„Wie können Politiker den Bürgern Einschnitte zumuten, wenn sie selbst die eigenen Beamtenapparate immer weiter vergrößern?“

Linnemann integriert immer wieder aktuelle Beispiele („Layla“-Diskussion, 9-Euro-Ticket, Schlesinger-Rücktritt) in seine Argumentation. Ihm ist ein Buch jenseits von Politiker-Phrasen gelungen, das selbstkritisch zurück- und kreativ in die Zukunft blickt.

»›Die ticken doch nicht richtig!‹«

Linnemann Ticken doch nicht richtig

Carsten Linnemanns „,Die ticken doch nicht richtig!̒ Warum Politik neu denken muss“ ist im Oktober 2022 beim Herder Verlag erschienen (ISBN 978-3-451-39087-6, 160 Seiten, 20 €).

Carsten Linnemann, geboren 1977, studierte nach dem Wehrdienst Betriebswirtschaftslehre an der FHDW Paderborn. Es folgte das Promotionsstudium der Volkswirtschaftslehre an der TU Chemnitz. 2006 bis 2007 war er Assistent des Chefökonomen der Deutschen Bank, Norbert Walter. Danach arbeitete er als Volkswirt bei der IKB Deutsche Industriebank im Bereich Konjunktur und Mittelstand. 2009 wurde Linnemann erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt (Direktmandat im Wahlkreis Paderborn), dem er bis heute angehört. Seit 2013 gehört er dem Bundesvorstand der CDU an, 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender. Seit Januar 2022 ist er Vorsitzender der CDU-Programmkommission und damit für die Neuausrichtung seiner Partei zuständig.  


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