Nürnberg St. Clara

Versöhnung  

Was sagt das Magnifikat über Maria?

Klaus Vechtel SJ über eines der bekannteste Gebete der Welt

Die Evangelien berichten über Maria auf unterschiedliche Weise, und das Magnifikat, der Lobgesang Marias, ist eines der biblischen Bilder, das Maria prägnant kennzeichnet. ­Allerdings hat Maria wohl kaum das Magnifikat gedichtet.

Der Text, der davon spricht, dass Gott bereits umstürzend gehandelt hat und handelt an den Mächtigen und sich der Niedrigen und Hungernden in Israel annimmt, hat vor allen Dingen den Lobgesang der Hanna (1 Sam 2,1–10) zum Vorbild. Dieser Hymnus der Hanna ist nicht nur ein poetischer Lobpreis Gottes dafür, dass Gott einer kinderlosen und somit sozial stigmatisierten Frau einen Sohn geschenkt hat. Ihr Mann Elkana versucht, sie zu beschwichtigen: „Bin ich dir nicht viel mehr wert als zehn Söhne?“ (2 Samuel 1,8). Dabei hat er gut reden, da er mit seiner zweiten Frau, von der Hanna dauernd schikaniert wird, Kinder hat.

Der Priester Eli, der sieht, wie Hanna im Heiligtum ihr Herz vor Gott ausschüttet, diffamiert sie als betrunken, auch wenn er sich nachher korrigiert. Wenn Hanna sich freut, weil Gott „erniedrigt und erhöht“ (2 Samuel 2,7), wenn sie betet „den Schwachen hebt er (Gott) empor aus dem Staub und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt“ (2 Sam 2,8), dann ist damit auch eine ­Kritik verbunden an männlich dominierten hierarchischen Verhältnissen, unter denen sie zu leiden hat. Im Namen Gottes kann Hanna sagen: Nein, es ist nicht richtig, sich vom eigenen Mann vertrösten zu lassen, während er dabei zuschaut, dass sie fortwährend gedemütigt wird. Nein, sie hat kein Alkoholproblem, wenn sie als Frau öffentlich betend ihre Gefühle vor Gott preisgibt. Gott selbst weist ihr ihren Platz, und zwar den „Ehrenplatz“ (2 Samuel 1,8), zu.

Der Kern: Die unterschiedlichen Schicksale

Die unterschiedlichen Schicksale der Stolzen, der Mächtigen und Reichen im Gegensatz zu den Niedrigen und Hungrigen bilden den Kern des Magnifikats. Während die ersteren zerstreut und vom Thron gestürzt werden, werden die letzteren erhöht und beschenkt (Lukas 1,51–53).

Im Lichte des Lobgesangs der Hanna sind von diesen Umkehrungen, die im Namen Gottes von Maria besungen werden, auch geschlechtertypische Hierarchisierungen betroffen. Diese zum Lobgesang Marias gehörende Dimension wahrzunehmen, ist umso wichtiger, als über Maria immer wieder bestimmte Geschlechterbilder in die Theologie und in die Kirche hineingetragen wurden und werden.

Magnifikat und Seligpreisungen

Prominent ist nicht zuletzt das Bild von Maria als Typus der Kirche, die hörend und bräutlich dem Bräutigam Christus gegenübersteht bzw. ihm untergeordnet ist. Problematisch ist es, wenn diese Symbol- und Bildebene normativ wird für Rollenzuweisungen zwischen Mann und Frau in der Kirche. Hier behält das Magnifikat eine kritische Rolle, um zu verstehen, was der biblische Ausdruck von Maria ist. Die Umkehrungen des Magnifikats werden von Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt ­radikal formuliert (Lukas 6,20–26): „Selig, ihr Armen … Selig, die ihr jetzt hungert … die ihr jetzt weint … Doch weh euch, ihr Reichen … die ihr jetzt satt seid … die ihr jetzt lacht …“

Der Evangelist Lukas legt Maria das Magnifikat in den Mund. Sie wird zur Sprecherin der Umkehrungen, die ein wesentlicher Teil des Evangeliums Jesu sind. Maria, die das Wort Gottes angenommen hat, ist die erste Jüngerin. Im Magnifikat nimmt Maria die Verkündigung des Evangeliums durch Jesus vorweg. Als Verkünderin der Frohen Botschaft ist sie maßgeblich für die Jünger*innen Jesu.

Das Jesuiten-Magazin

Dieser Beitrag stammt aus dem Jesuitenmagazin 1/2024. Das Magazin erscheint viermal im Jahr und jedes Heft widmet sich einem Schwerpunktthema. Die Ausgabe 1/2024 betrachtet Maria aus vielen Blickwinkeln.

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Foto: Stefan Weigand


P. Klaus Vechtel SJ

ist Professor für Dogmatik und Dogmenhermeneutik an der PTH Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Zuvor war er lange Zeit als Spiritual am Collegium Germanicum in Rom tätig.

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