Wie es Navid Kermani in seinem aktuellen Buch gelingt, neu für Gott zu begeistern
Navid Kermani löst ein Versprechen ein, das er seinem Vater auf dem Sterbebett gegeben hat. Er erzählt seiner Tochter von Gott. Das tut er in seinem neuen Buch „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen“. Eigentlich – das gesteht er ein – ein unmögliches Unterfangen. Trotzdem ist er davon überzeugt, dass der Koran zu Menschen sprechen kann und dass Gott erfahrbar ist. Gleichzeitig wirft er einen Blick auf die Gemeinsamkeiten von Religionen – ein persönlicher Blick eines Schriftstellers, der als Glaubender ein Fragender bleibt.
Navid Kermani ist ein Brückenbauer, zwischen Orient und Okzident und zwischen Islam und Christentum. Schon in seinen Büchern „Zwischen Koran und Kafka. West-östliche Erkundungen“ (2014) und „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ 2015 hat er westliche Schriftsteller mit islamischen Gelehrten ins Gespräch gebracht oder Gemälde mit biblischen Motiven aus muslimischer Perspektive betrachtet.
Große Fragen in einfacher Form
Sein neues Buch kommt harmlos daher: ein Vater will seiner Tochter den Islam erklären. Das hat der Vater dem Opa des Mädchens auf dem Sterbebett versprochen. Das könnte Kermani mit vielen Fußnoten und einem langen Inhaltsverzeichnis tun – er wählt aber die Erzählform. Ein Inhaltsverzeichnis sucht man vergebens. Das mag man am Buch kritisieren, aber auch für mich als theologischem Laien macht es das Verstehen der großen Fragen leichter, die Kermani stellt.
Beim Islam bleibt der Vater aber nicht stehen. In einfachen Worten erklärt er große Zusammenhänge, was alle Religionen eint. Vor allem der Islam und das Christentum interessieren Kermani. Der habilitierte Orientalist betrachtet die Geburt Jesu, die Opferung Isaaks, den Sündenfall und schließlich die Figur des Hiob aus christlicher und muslimischer Sichtweise.
Es ist kein Zufall, dass Hiob auf den letzten Seiten erwähnt wird. Hiob, der in der Bibel mit der Duldung Gottes alles verliert und trotzdem an Gott festhält. Dafür wird er am Ende von Gott gelobt. Kermani bleibt bei allem Fachwissen ein Fragender. Das passt zu Hiob: Im Islam wird betont, dass er die Beziehung zu Gott nicht loslässt und sich nicht abwendet. Die Frage wer oder was Gott ist, treibt Kermani um, trotzdem meint er:
»Vielleicht kommt es gar nicht so sehr auf die Antwort an, sondern dass du nie aufhörst zu fragen – denn die Frage ist ebenjene Beziehung, die wir mit Gott haben. Wer die Antwort hat, ist schon fertig, der braucht nicht mehr zu suchen, der gratuliert sich dauernd selbst.«
Navid Kermani
Navid Kermani
Der 54-Jährige wurde in Siegen geboren und lebt in Köln. Er hat iranische Wurzeln. Für sein literarisches und essayistisches Werk ist er vielfach ausgezeichnet worden. Der habilitierte Orientalist arbeitete auch als Reporter im Irak. Bedeutende Werke von ihm sind unter anderem “Zwischen Koran und Kafka” (2014) und “Ungläubiges Staunen” (2015). Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf – den Kermani auch für sein aktuelles Werk als Gutachter hinzuzog – bezeichnete Kermani im Zusammenhang mit einer Rezension von “Ungläubiges Staunen” als “modernen Mystiker”.
Parallelen zwischen Islam und Christentum
Besonders beeindruckend finde ich, ist es, wenn Kermani Goethe mit der 101. Koransure ins Gespräch bringt. Immer wieder betont er, was Christentum und Islam gemeinsam haben, zum Beispiel die Liebe Gottes zum Menschen und umgekehrt: „Gott sehnt sich ebenfalls nach Liebe, die in guten wie in schlechten Zeiten hält, und lässt uns nicht einmal dann fallen, wenn wir unser Hässlichstes hervorkehren. … Gott rechnet wie ein Liebender, der alles zugunsten seiner Geliebten auslegt.“
Kermani ist sich seiner Grenzen bewusst: „Selbst wir Schriftsteller wissen oft nicht mehr, wie wir vom Göttlichen sprechen können“, sagt er. Trotzdem ist er überzeugt, dass Religion und Gott erfahren werden können und dass Gott zu den Menschen spricht. Das „religiöse Unwissen“ und Kleinreden Gottes sieht er als Gefahr: „Heute wollen die Menschen von Gott oft nur das Gute, das Freundliche sehen. Sie merken nicht, wie klein sie ihn damit machen, wie ohnmächtig. Und wie groß sich der Mensch macht, der Gott aus der Verantwortung entlässt. … Dabei ist er es, der uns aus der Bedrängnis rettet, aber auch das Herz stillstehen lässt, wann immer er will.“
Dieses im Untertitel beschrieben „Fragen nach Gott“ halte ich für die Stärke des Buches. Kermani zeigt auch Christen neue Aspekte ihres Glaubens, dabei bleibt er demütig und rechnet im besten Sinne mit einer „Metaphysik“ – einer Welt, die jenseits des Sichtbaren liegt. Gerade in Zeiten, in denen Religion(en) viel Kritik einstecken müssen, lohnt sich dieses Buch – denn es hinterfragt so manche starre Meinung.
»Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen«
„Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott“ von Navid Kermani ist 2022 bei Hanser hey! erschienen (ISBN: 978-3-446-27144-9, 240 Seiten, 22 Euro).
Fotos: Autor © Heike Bogenberger; © Hanser Verlag; © wunderlichundweigand