Klaus Mertes SJ Kolumne

HIER SCHREIBT KLAUS MERTES

Über Verachtung

Derzeit erleben wir in vielen Zusammenhängen und vor allem in politischen Debatten Hass und Verachtung. Beide Gefühle scheinen zunächst ähnlich gelagert zu sein. Doch bei näherem Hinsehen offenbaren sich Unterschiede. Klaus Mertes SJ geht diesen auf den Grund

In einem Gespräch mit der Philosophin Hilge Landweer (FAZ, 9.11.2023) habe ich eine begriffliche Unterscheidung entdeckt, die ich in vieler Hinsicht hilfreich finde: Die Unterscheidung zwischen Hass und Verachtung.

Um es mit meinen Worten zusammenzufassen: Das Gefühl des Hasses kommt aus der Opferposition, aus dem Gefühl der Ohnmacht, aus einer Wunde, die eitert und nicht verheilen will. Es ist ein Gefühl, das sozusagen von unten nach oben geht und sich auf die Person, auf das Objekt richtet und an ihm klebt. Hass wendet sich zu, nicht ab.

Verachtung wendet sich ab

Bei der Verachtung ist es genau umkehrt. Sie wendet sich ab, nicht zu. Verachtung ist ein Gefühl, das von oben nach unten geht. Es „entsteht, wenn man einer anderen Person beziehungsweise Personengruppe minderwertige oder schlechte Eigenschaften unterstellt und sich diesen Personen moralisch überlegen fühlt.“

Hass zielt auf Vernichtung, Verachtung auf Entmenschlichung. Hass kann, muss aber nicht grausam sein. Verachtung hingegen geht davon aus, dass andere Personen oder die andere Personengruppe ein Nichts sind.

Sie ist abgewandt. Sie gibt dem Hass Legitimation zum Ausbruch. Sie macht aber auch mit, und zwar durch Grausamkeit ohne Grenzen. Abgewandt, und das heißt auch: Frei von Empathie. „Die Hamas verachtet offensichtlich alles Jüdische und Israelische.“

Einerseits ist die Unterscheidung von Hass und Verachtung nur eine begriffliche Unterscheidung. In der Wirklichkeit kommen sie zusammen, auch hierzulande in der genozidal gestimmten Gewaltbereitschaft gegen Juden, wie sie in den letzten Tagen hörbar und sichtbar geworden ist.

Die Unterscheidung hilft mir aber, einen Aspekt des Problems beim Schopf zu packen: Antisemitische Gewalt und Gewaltbereitschaft kommen eben nicht nur aus einer Opferposition, sondern auch aus einer Ideologie der Überlegenheit. Deswegen stehen wir auch in einer geistigen Auseinandersetzung.

Verachtung bedeutet, einer anderen Person oder Personengruppe den Menschheits-Status abzusprechen. Das kann leise und kaum bemerkt im Alltag beginnen, bis sich Verachtung eines Tages mit Hass verbündet und beide sich Bahn brechen. Und dann sind wir irgendwann wieder da angekommen, wo wir in Deutschland im letzten Jahrhundert schon einmal waren: Beim gewollten und geplanten Genozid.


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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