Empörung darf nicht zu Hass werden
„Abgesehen von einem böhmischen Gefreiten hat noch nie jemand so viel Unglück über Deutschland gebracht wie diese ehemalige Bundeskanzlerin.“ – Ein Satz des Hasses, ausgesprochen am 6.9.2023 in der Haushaltsdebatte von einem AfD-Mann während seiner Rede vor dem Bundestag. Als „böhmischen Gefreiten“ hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg Anfang der 1930er Jahre Adolf Hitler verächtlich zu machen versucht.
Die amtierende Sitzungsleiterin, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), rügte den AfD-Abgeordneten. Man könne im Bundestag zwar jede Meinung äußern, sagte sie. Aber: „Was nicht geht, sind persönliche Beleidigungen. Und was auch nicht geht, ist, so en passant Personen aus der Politik dieses Landes gleichzusetzen mit solchen, die im Nationalsozialismus Macht hatten. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Das ist unparlamentarisch und das werden wir in diesem Haus nicht dulden.“
Das Problem ist: Der AfD-Redner greift einen Vergleich auf, der spätestens seit 2015 auch in bürgerlichen Kreisen üblich ist, auch in kirchlichen Kreisen. Ich erinnere mich an die Tagung eines katholischen Verbandes in der Zeit der Flüchtlingskrise ab dem Jahr 2015 – ich nenne den Namen des Verbandes nicht, liefere ihn aber gerne auf Nachfrage nach. Beim gemeinsamen Abendessen steigerte sich am Tisch die Empörung über das Merkel-Diktum „Wir schaffen das!“ vom Aperitif über die Vorspeise bis zum Hauptgang. Und plötzlich fiel der Satz: „Niemand außer Adolf Hitler hat Deutschland so sehr geschadet wie Angela Merkel.“
Ich stand auf und ging an den nächsten Tisch. Dort ging es auch gegen Angela Merkel, gegen Selfies mit Flüchtlingen und gegen Seenotretter. Die Stimmung am gut-bürgerlich-katholischen Tisch war ebenfalls hasserfüllt. Da verließ ich die Tagung. Ein paar Monate später trat ich aus dem Verband aus.
Laut dröhnendes Schweigen in der CDU-Fraktion
Noch ein Problem fällt mir an der Szene während der Haushaltsdebatte dieser Woche auf: Eine Politikerin der Grünen rügt den Vergleich Hitler-Merkel. Sozialdemokratische Redner auch. Aber aus der Unions-Fraktion dazu kein Wort. Laut dröhnendes Schweigen. Die Merz-CDU scheint von der „Irish-Alzheimer“-Krankheit befallen zu sein. Iren bewitzeln sie gerne an sich selbst: „They forget everything, except grudges.“ Sie vergessen alles, nur nicht den Groll, in diesem Fall: In der CDU vergessen sie den Groll gegen Merkel nicht. Das wirkt wie Gift.
Die ganze Performance der Union wird immer grolliger, auch wenn es nicht um Merkel geht. Da ist es schon beinahe mutig, wenn junge CDA-Mitglieder einen „Aufschrei“ formulieren: „Christliche Liebe als geistiges Fundament politischen Handelns ermutigt auch … maßvoll zu bleiben und Zuversicht in die eigene Position zu behalten. Angela Merkels von ihrem persönlichen Glauben getragenes Wir schaffen das kann insofern als eine christdemokratische Kerndevise gelten.“ (Vgl.: Zeit für einen Aufschrei: die Christdemokratie als Korrektiv im Blick nach rechts – feinschwarz.net, 6.9.2023)
Groll macht bitter. Je länger er kultiviert wird, um so mehr verfestigt er sich zu Hass.
Hass ist ein kaltes Gefühl. Er geht mit Empathieverlust einher. Cicero hat für Hass die schöne Definition gefunden: Ira inveterata – alt gewordener Zorn. Zorn lodert auf, aufgrund von Empathie, Hass hingegen zündet mit kaltem Herzen Flüchtlingsunterkünfte an. Die schweigenden Groller in der CDU machen mich nachdenklich. Groll kann in die Arme von Hass treiben, wenn die Selbstbesinnung ausbleibt. Ich hoffe immer noch, dass eine christlich-demokratische Partei erhalten bleibt, die ihre Ursprünge kennt und ihnen treu bleibt. Und dazu gehören auch Haltungen: Bei Hassreden nicht schweigen, Leidenschaft für die Sache mit Maß in der Sprache verbinden, in schwierigen Situationen mutig sein und ermutigen. Das kann man schaffen.