Warum Klaus Mertes die Parole „Gegen rechts“ nicht mehr ausreicht
Meine Gefühle gegenüber den Demonstrationen „gegen rechts“ sind gespalten. Einerseits freut es mich, wenn zum Beispiel mit Blick auf die anstehende Europa-Wahl ein Kipppunkt erreicht wird und Menschen aufgerüttelt werden: Wollen wir wirklich Parteien gewinnen lassen, die die europäische Union verlassen wollen? Die Ausländerfeindlichkeit schüren? Die rechtsextrem sind? Ich jedenfalls nicht.
Aber dann kommen mir doch Zweifel.
„Gegen rechts“ ist ein Kitt, der bei genauerem Hinsehen schnell bröckelt.
Ich sehe Demonstrierende nebeneinander stehen – die einen mit palästinensischer, die anderen mit israelischer Fahne. Da muss sich dann die Polizei dazwischen stellen. Ich sehe Plakate, auf denen Sätze stehen wie: „AfD ist Pest, CDU ist Cholera.“ Ich sehe Personen, von denen ich weiß: Für die ist alles rechts, was links von ihnen steht. Je linker, um so mehr Rechte. Mich stört auch die moralisierende Unterscheidung zwischen einem „anständigen“ und einem „unanständigen“ Teil der Bevölkerung. Bauchweh kriege ich, wenn Regierungen Demonstranten loben. Dazu ließe sich viel sagen.
Die Aufteilung in „rechts“ und „links“ hat ihren Ursprung in der Sitzordnung der französischen Nationalversammlung von 1789. Ganz links saßen die republikanischen „Radikalen“, ganz rechts die reaktionären Aristokraten. Dazwischen fächerte sich das Spektrum von liberalen demokratischen Kräften bis zu den Konservativen auf. Heute kämpfen wir nicht für die Überwindung des Feudalismus. Was „rechts“ und was „links“ ist, muss deswegen inhaltlich neu definiert werden.
Völkisches Denken als rote Linie
Meine rote Linie ist das völkische Denken. Es wirkt wie ein süßes Gift, weil es Ängste um Identitätsverlust mit Freund-Feind-Unterscheidungen bedient. Um besser zu verstehen, was da geschieht, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten. Die Denker der „konservativen Revolution“ aus der Zeit der Weimarer Republik hatten einen Erzfeind im Blick: den „Liberalismus“, also das Eintreten für individuelle Freiheitsrechte und die Gleichheit vor dem Gesetz, und zwar gerade nicht beschränkt auf eine Nation, sondern unabhängig von willkürlich gewählten Identitäten. Dass und wie dieses Motiv bei den heutigen Völkischen wieder auflebt, kann man nachlesen, nicht nur bei Kubitschek, Sellner, Lichtmesz & Co. Die russische Variante dazu findet sich bei Dugin und anderen.
In Polen und Ungarn droht das völkische Denken den Katholizismus in eine Ideologie nationaler Identität zu verwandeln. Dasselbe geschieht mit erheblichen Teilen des Protestantismus in den USA. An den allgemeinen Menschenrechten orientierter Universalismus ist für das identitäre Denken die eigentliche Bedrohung, eine vom „Westen“ getragene „Weltverschwörung“ gegen die als homogen gedachten Nationen. Hier dockt dann auch der Antisemitismus der völkischen Rechten an. Und dann sitzen plötzlich postkoloniale „Linke“ mit „Rechten“ und Israel-Hassern, die den Mullahs im Iran zujubeln, an einem Tisch.
Mir reicht die Parole „gegen rechts“ nicht mehr. Wir befinden uns in einem epochalen Wandel.
Deswegen habe ich mich eigentlich auch schon von der Unterscheidung „links“ und „rechts“ abgewandt. Ich schlage stattdessen vor, dass wir zwischen den „Identitären“ und den ethischen „Universalisten“ unterscheiden, und damit bei uns selbst anfangen.