Klaus Mertes SJ Kolumne

Mertes’ Meinung

Rüstet ab! Und fangt bei der Sprache an

Was es heißt, wieder miteinander reden zu können

Der Jahresbeginn ist eine Gelegenheit, einen Vorsatz zu fassen. Welchen Beitrag kann ich leisten, um zu Versöhnung beizutragen? Ich schlage vor: Über Sprache und deren Sprecher nachdenken. Denn es gilt nicht nur: „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1), sondern auch: „Im Anfang war, sobald das Wort ‚in die Welt‘ (Joh 1,9) gesprochen war, auch das mögliche Missverständnis da.“

Viele Menschen beherrschen die geschliffene Sprache der öffentlichen Diskurse nicht. Ihr erstes Wort ist oft ein spontanes Empörungs- oder Begeisterungswort, zum Beispiel: „Gender-Sternchen, das ist doch Gaga!“

Diskurs-Profis würden formulieren: „Die Inklusion der drei Geschlechter ist wichtig, aber die Texte müssen vorlesbar bleiben.“ Oder: „Toll, wie Greta den Politikern die Hölle heiß macht. Die sind ja sowieso nur Marionetten der Kohleindustrie.“ Professionelle Variante: „Die Politik ist auf öffentlichen Druck angewiesen, um im Kampf gegen die Klimawandel voranzukommen. Sonst kommt der Druck nur von Bremsern.“ Und so weiter.

Schnell werden die Normalos, die die Regeln des öffentlichen Diskurses nicht beherrschen, als Extremisten abgestempelt: Homophob, transphob, islamophob, antisemitisch, Verschwörungstheoretiker, Pack, Idioten, Abschaum. Das schüchtert ein und treibt die Radikalisierung erst recht voran.

Klar – gegenüber Extremisten muss man sich glasklar abgrenzen. Aber der Riss ist nicht nur einer zwischen den Extremen und den Gemäßigten der politischen Lager. Es ist noch mehr ein Riss zwischen sozialen Milieus. Das galt und gilt auch für die Debatte um Corona: Der unterschiedliche Umgang mit Sprache weist auch hier mehr auf eine soziale Spaltung hin als auf eine Spaltung zwischen „Anständigen“ und „Unanständigen“.

Was tun?

Eine Sprache, die versöhnen will, muss also zuerst einmal zuhören und im Fall der Fälle fragen: „Wie würde ich das, was mein Gegenüber unangemessen ausdrückt, versuchen, angemessen auszudrücken?“

So könnte dann Dialog entstehen, wo andere schon die Flinte ins Korn geworfen und sich damit abgefunden haben, in gegenseitigen Empörungs- oder Begeisterungsdiskursen mit hochgeschraubt zu werden.


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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