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(K)eine Wahlempfehlung

Was Evangelium und Wahlentscheidungen miteinander zu tun haben

„Verwählt Euch nicht“, sagte unser Vater Ende der 1980er Jahre zu uns Kindern, als meine Geschwister und später auch ich zum ersten Mal wählen gehen durften. Mir hat diese Formulierung bereits damals sehr gefallen. Denn zum einen war es ein klares Bekenntnis: Man geht wählen! Das stand völlig außer Frage. Das Recht zu wählen war ganz selbstverständlich auch eine Pflicht, um damit seine Stimme einer Partei zu geben, die für die kommenden Jahre das politische Leben entscheiden sollte.

Und zum anderen war mit einem gewissen Augenzwinkern klar, dass wir möglicherweise unter dieser „richtigen Wahl“ etwas Unterschiedliches meinen konnten. Letztlich blieb es eben unsere Gewissensentscheidung. Und der Rahmen war auch gesetzt, in dem die politischen Positionen zu prüfen waren. Nicht zuletzt ging man zumeist gleich nach dem Sonntagsgottesdienst von der Kirche in das gegenüberliegende Rathaus, in dem die Wahlurnen aufgestellt waren.

Eindeutige Aussagen im Evangelium

Nun ist das Evangelium kein politisches Manifest und es enthält auch keine Wahlempfehlung. Und natürlich gibt es Aussagen und Botschaften, die unterschiedlich interpretiert werden können. Aber es gibt auch Eindeutiges.

Wenn jeder Mensch nach dem Abbild Gottes geschaffen ist, dann ist damit ganz eindeutig jede und jeder gemeint und es gibt keine Ausnahme und Unterschiede. Und dann ist das diametral entgegengesetzt der damaligen Aussage im AFD-Wahlprogramm, wenn es dort hieß „Wir treten für ein differenziertes Menschenbild ein.“

Wenn als Handlungsmaxime gefordert wird, „Liebe Deinen Nächsten“, dann ist damit nicht der Nächststehende, der Verwandte oder die Gruppe und Landsmannschaft bzw. Nation gemeint, sondern der Mensch, den ich mit meinem Handeln erreichen kann, für den ich – wie Kain für seinen Bruder Abel – verantwortlich bin, damit auch er „ein Leben in Fülle“ haben kann.

Wenn es heißt, „Der Nächste ist der, der die Barmherzigkeit an ihm tat“, dann wird im Gleichnis vom Samariter nochmals klargestellt, um was es geht: Jede Form der Ausgrenzung, Abschottung durch elitäres und rassistisches Gedankengut widerspricht diesem Geist des Evangeliums, das für Solidarität und Liebe (von der Nächstenliebe bis zur Feindesliebe) einsteht und aufruft zum Mitgestalten des Reiches Gottes, das geprägt ist von „Gerechtigkeit und Frieden“.

Das Gleichnis vom Samariter ist dabei ganz wunderbar und bleibt eben offen. Denn wir wissen nicht, wie es weiter ging mit dem misshandelten Mann, der unter die Räuber gefallen war. Wurde er gesund, blieb er noch in der Herberge? Kümmerte sich der barmherzige Samariter nicht nur um diesen Mann, sondern suchte nach Lösungen für sichere Straßen, zur Eindämmung der Gefahren durch Räuber? Oder ging es nicht weiter, kam er vielleicht nicht zurück, um weiter zu helfen, wie er es versprochen hatte? Viele Lösungen sind denkbar und das Evangelium bietet auch an dieser Stelle keine einfachen Lösungen, aber die Grundlinien sind klar und stecken die roten Linien ab.

Rote Linien werden überschritten

Im politischen Getriebe werden derzeit diese roten Linien überschritten. Wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein hauptamtlicher Bürgermeister aus den Reihen der AFD gewählt werden, dann spricht man vom demokratischen Willen, den dadurch geschaffenen Notwendigkeiten der Zusammenarbeit und des unumgänglichen Dialogs und der Einbeziehung – und man übersieht, dass diese Partei in ihren Grundlinien menschenfeindlich, ausgrenzend, rassistisch und antidemokratisch spricht und handelt. Und diese roten Linien scheinen immer weniger deutlich erkennbar zu sein, gerade bei den kommenden Wahlen.

Daher möchte ich heute ganz laut und deutlich ausrufen: „Verwählt Euch nicht!“ Und vor allem möchte ich alle ermuntern, dass jede und jeder in seinem Umkreis dies auch den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zuruft: „Geht wählen und verwählt Euch nicht!“


Siegfried Grillmeyer

Er ist seit 2008 Leiter des Caritas Pirckheimer Hauses, der Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, sowie Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Bildung sowie privat von Essays und Kurzgeschichten.
www.grillmeyer.info

Bild: CPH

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