Klaus Mertes SJ Kolumne

HIER SCHREIBT KLAUS MERTES SJ

»Hillbillies« übernehmen

Abschied von der Arroganz – ein Blick auf die politische Situation in den USA

Mit dem Parteitag der Republikaner diese Woche in Milwaukee hat die heiße Phase des US-amerikanischen Wahlkampfs begonnen. Durch die Nominierung von J. D. Vance als Kandidat für das Amt des US-Vizepräsidenten hat Donald Trump klargemacht, wohin die Reise der USA gehen soll – und zwar über das Ende seiner möglichen zweiten Amtszeit, also über 2028, hinaus. Vance – er wird Anfang August 40 Jahre alt – hielt in Milwaukee eine selbstbewusste Rede.

Er betonte seine Herkunft aus der Arbeiterklasse und versprach, „ein Vizepräsident zu sein, der nie vergisst, woher er kommt“. Er kritisierte die Einwanderungspolitik von Joe Biden, forderte das Ende der US-Militärunterstützung der Ukraine, griff China an und versprach, nicht länger „die Wall Street zu bedienen“.

Die europäischen Reaktionen auf Trumps gestiegene Erfolgsaussichten sind eine Mischung aus Panik und moralisierender Überheblichkeit. Den Vogel schoss ein nicht besonders witziger deutscher Satiriker ab, der auf der Plattform X bedauerte, dass das Attentat auf Trump am vergangenen Sonntag gescheitert war, und zur Begründung hinzufügte, er „finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben“.

Neue Realitäten in der Politik

Eine vorausschauende europäische Politik muss sich auf die Möglichkeit neuer Realitäten in den USA einstellen und sich von aller Überheblichkeit verabschieden, selbstverständlich ohne dabei den kritischen Verstand auszuschalten. Überheblichkeit ist ja Ausdruck von mangelndem kritischen Verstand, zu welchem allein schon vom Begriff her die Fähigkeit zur Selbstkritik gehört.

J. D. Vance hat schon vor einigen Jahren das arrogante Sprechen über die „hillbillies“ im Titel seines Buches aufs Korn genommen, das nun alle kaufen und lesen wollen: J. D. Vance, „Hillbilly Elegy“. Die verfilmte Version war 2020 bei Netflix zu sehen. Das Wort „Hillbilly“ könnte man mit „Hinterwäldler“ übersetzen. Vance beschreibt eindringlich den Abstieg der weißen Arbeiterklasse und der weißen unteren Mittelschicht in den sogenannten Flyover states, also der amerikanischen Provinz zwischen den urbanen Zentren an der Ost- und der Westküste der USA.

Wir wissen nicht, wie die US-Präsidentschaftswahl am 5. November ausgehen wird. Aber wir wissen jetzt: Trump wird keine politische Eintagsfliege bleiben.

Er hat die Grand Old Party gekapert und mit J. D. Vance für eine junge Generation geöffnet, die übernehmen wird. Sie lässt sich weder von europäischer Panik noch von europäischer Überheblichkeit beeindrucken. Wir stehen vor einer neuen Phase der Geschichte, in der Europa mehr Verantwortung für sich selbst wird übernehmen müssen, nicht nur für die kurze Zeit einer eventuellen Trump-Präsidentschaft.


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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