Klaus Mertes SJ Kolumne

MERTES’ MEINUNG

Geld ist nicht alles

Über die Bedeutung von Vertrauen – auch und gerade für Präventionsarbeit

Bill Gates hat ein neues Buch geschrieben: „Wie wir die nächste Pandemie verhindern.“ (München 2022). Er skizziert fünf Schritte: Globales Pandemie-Team zusammenstellen, Frühwarnsystem verbessern, Impfstoffe vorbereiten, Medikamente entwickeln und: Immer wieder den Ernstfall trainieren.

Vor Corona hätte ich sicherlich kein Buch von Bill Gates gelesen. Jetzt greife ich dazu, weil ich in den letzten Jahren begriffen habe, dass er einflussreich ist. Ich füge hinzu: ungebührlich einflussreich, weil ohne jegliche demokratische Legitimation. Seine Basis ist sein Reichtum. Er ist der viertreichste Mann der Welt, verfügt zusammen mir Melinda über die größte private Stiftung der Welt, die mehr Vermögen hat als ganze Staatshaushalte. Als solcher agiert er auf Augenhöhe mit Regierungschefs. Er finanziert zahllose öffentliche und private Institutionen im Sinne seiner Vorsorge-Agenda.

Es mag ja sein, dass Gates’ Agenda subjektiv wohlmeinend das Beste für die Menschheit will. Was ich aber vermisse, das ist die öffentliche Auseinandersetzung mit seinem globalen Gestaltungsanspruch: Eine/zwei superreiche, wohlmeinende Person(en) wenden sich der ganzen Menschheit mit dem Projekt der Pandemie-Vorsorge zu. Eine vergleichbare Konstellation (ein superreicher Privatmann für die ganze Menschheit – eine Konstellation, die ich eigentlich nur von Jesus kenne, da allerdings ohne Geld) lässt sich auch von Marc Zuckerberg aussagen, oder von Elon Musk, der gerade Twitter gekauft hat und den Weltraum privat besiedeln will. Macht und Selbstbild dieser Männer basieren auf dem Geld. Mir reicht das nicht, um ihnen zu vertrauen.

Vielmehr ist mir, gerade wenn es um politische Gestaltungsansprüche geht, Vertrauen gegenüber einzelnen besonderen Personen zutiefst fremd.

Wie Ernstfälle am besten üben?

Vieles von dem, was in Gates’ Buch steht, kann ich nicht beurteilen. Es ist der Ton, der mir Sorgen macht, ja: mich abstößt. Zum Beispiel die Empfehlung, vom nächsten globalen Pandemie-worst-case auszugehen, um den Ernstfall präventiv jetzt schon global zu trainieren. Aus meiner Zeit als Kollegdirektor weiß ich, wie schwierig und im Fall der Fälle kontraproduktiv es ist, eine Schule ständig mit katastrophischen Ernstfällen zu befassen – zumal es ja sehr unterschiedliche Ernstfälle gibt. Bei einem Brandalarm etwa müssen sich die Anwesenden im Gebäude vollkommen anders verhalten als bei einem Amokalarm. In dem einen Fall gilt: Alle raus! In dem anderen Fall gilt: Alle drinbleiben und Türen von innen verschließen!

Ernstfälle müssen jedenfalls so geübt werden, dass man Menschen nicht ständig in Alarmstellung versetzt. Als Kollegsdirektor hatte ich es mit ungefähr 900 Menschen zu tun. Das war schon komplex genug, um dieser Gratwanderung gerecht zu werden. Gates nimmt 700.000.000.000 Menschen in den Blick. Was macht eine solche Vorsorgestrategie mit der Menschheit, wenn sie tatsächlich umgesetzt würde?

Das Präventions-Paradox

Viel war in den letzten beiden Jahren vom Präventions-Paradox die Rede: Die Motivation zur Präventionsarbeit müsse immer mit dem Problem kämpfen, dass ihre Notwendigkeit gerade im Falle ihres Erfolges schwer vermittelbar ist. Das stimmt. Es gibt aber auch ein anderes Problem: Das Überziehen des Vorsorge-Prinzips macht Vertrauen kaputt. Die Angst hat im überzogenen Vorsorge-Denken immer recht, das Vertrauen hingegen nicht. Gates sieht das Problem. Er löst es, indem er Strategien fordert, die das Vertrauen von Menschen in globale Vorsorge-Strategien stärken. Aber genau so stärkt man kein Vertrauen. Vertrauen kann nur geschenkt werden. Das macht die Würde jedes einzelnen unter den 700.000.000.000 Menschen aus.

Worauf aber vertraut Bill Gates? Seine Antwort: „Ich bin ein Technik-Freak … Innovation ist mein Hammer, mit dem ich jeden Nagel, der mir unterkommt, einzuschlagen versuche.“ Tja, und genau da wird der tiefe Graben sichtbar, der mich von Gates trennt. Bei allem sinnvollen Einsatz von Technik – wie viele große Fortschritte verdanken wir in der Tat technischen Innovationen! – gibt es eine Sache, die wir eben nicht mit dem Hammer reingehauen bekommen, niemals: Vertrauen. Und zwar nicht nur vertikales Vertrauen nach oben, wie Gates es sich wünscht, sondern horizontales Vertrauen vor Ort, untereinander. Dieses Vertrauen zu pflegen, täglich, beginnend im eigenen sozialen Umfeld, ist völlig unverzichtbar, besonders in Hinblick auf aktuelle und künftige Krisenzeiten. Ohne Vertrauen geht gar nichts, auch nicht Prävention.


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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