Die kontinuierlichen Kürzungen der finanziellen Mittel im Bildungsbereich gefährden die Demokratie
Seit den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992 haben sich die politischen Auseinandersetzungen und die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft weiter verschärft. Doch trotz der dringenden Notwendigkeit, Bildung als präventives Mittel gegen Hass und Gewalt einzusetzen, werden die finanziellen Mittel für politische Bildungsprojekte kontinuierlich gekürzt – zuletzt im aktuellen Haushaltsentwurf der Bundesregierung. Ein Kommentar von Siegfried Grillmeyer
Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich kurz nach der deutschen Wiedervereinigung zum ersten Mal die Formulierung und damit Forderung gehört, dass politische Bildung keine Feuerwehr sein dürfe. Ausgangspunkt waren die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im Sommer 1992. Rechtsextreme Randalierer steckten aus einer rassistischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus ein Wohnheim in Brand – und dies unter dem Applaus von rund 3000 Zuschauern. Ein Sonderprojekt und damit beachtliche Fördermittel wurden bald darauf zur Verfügung gestellt. Politische und historische Bildung sollten auf Dauer mögliche Brutstätten von Hass und Gewalt bekämpfen.
Aber leider war Rostock nur die erste unter vielen Ausschreitungen und tödlichen Übergriffen, die in den kommenden Jahren folgen sollten und die damalige „Asyldebatte“ nur der Beginn einer Verrohung der politischen Diskussionskultur.
Immer wieder wurde politische Bildung durch immense Fördermittel als Feuerwehr eingesetzt. Während einzelne Projekte – wie jüngst unter dem Titel „Demokratie Leben“ – für jeweils begrenzte und oftmals sehr kurze Zeit finanziell gut ausgestattet werden, wurden gleichzeitig Bildungseinrichtungen geschlossen und bangen zivilgesellschaftliche Akteure von (Förder-)Jahr zu Jahr um ihre Fortexistenz.
Das Sterben von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wie auch der Erwachsenenbildung geht erschreckend weiter, ob nun im kommunalen, im staatlichen Bereich oder bei den Kirchen, Gewerkschaften, parteinahen Initiativen oder ganz allgemein zivilgesellschaftlichen Projekten.
Zuspitzung durch den Bundeshaushalt 2024
Ein Höhepunkt dieser dramatischen Zuspitzung wird nun mit dem Haushaltsentwurf 2024 der Bundesregierung erreicht. Demnach soll der Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) und damit das zentrale Förderinstrument zur Finanzierung der bundesweiten Infrastruktur der Kinder- und Jugendarbeit, um 44,6 Millionen Euro bzw. um 18,6 Prozent gekürzt werden. Zusätzlich soll der Förderhaushalt für Träger der politischen Bildung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) um weitere 4,2 Mio. Euro gekürzt werden, das sind rund 24 Prozent des Fördervolumens.
Die Bundesregierung hat ihren Entwurf für den Bundeshaushalt am 5. Juli 2023 vorgelegt. Manche waren da schon real, andere vielleicht in Gedanken bereits in den Ferien. Denn der große Aufschrei blieb landesweit aus.
Vielleicht hatte man an vielen Orten auch einfach resigniert den Kopf geschüttelt, dass man im Angesicht der Gefährdungen der Demokratie gerade die strukturelle Förderung der Bildung massiv kürzen will. Und niemand scheint sich an die in Sonntagreden gern zitierte Aussage des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy zu erinnern, der es auf den Punkt brachte: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“
Ob mir persönlich nun das Bild von der politischen Bildung als Feuerwehr gefällt oder nicht, so sehe ich doch derzeit viele Brandgefahren und auch ganz reale politische Schwelbrände, die sich zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand ausweiten können. Und auf Dauer hilft da keine Feuerwehr.