Klaus Mertes SJ Kolumne

HIER SCHREIBT KLAUS MERTES

Ein Meilenstein in der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in Institutionen

Klaus Mertes über das »Menne-Urteil«

Das Erzbistum Köln muss einem Missbrauchsopfer 300.000 € Schmerzensgeld zahlen. 25.000 € wurden bereits von der Erzdiözese in Anerkennung des Leids an die betroffene Person ausgezahlt. Sie werden auf den Betrag angerechnet. So hat das Landgericht Köln am 13.6.2023 entschieden, nachdem sich die beiden Seiten nicht auf einen Vergleich einigen wollten.

Dieses nach dem Kläger benannte „Menne-Urteil“ ist ein wichtiger Schritt nach vorne für Betroffene und Institutionen gleichermaßen. Es wurde möglich, weil das Erzbistum Köln auf die Einrede der Verjährung verzichtete, nachdem unstrittig klar war, dass Georg Menne in den 70er Jahren mehr als 320 Mal von einem katholischen Priester missbraucht wurde; dass die Vorwürfe dem Erzbistum 1980 und 2010 bekannt geworden waren, und dass der Täter trotzdem noch viele Jahre weiter als Seelsorger arbeiten durfte.

Ein Urteil in vergleichbarer Angelegenheit am Landgericht Traunstein gegen die Erzdiözese München und Freising steht noch an, in den nächsten Tagen. Das „Menne-Urteil“ hat auch für diesen Zivilprozess schon jetzt Signalwirkung. Ein neues Blatt in der Rechtsprechungsgeschichte ist jedenfalls aufgeschlagen.

Endlich die Chance auf Rechtsfrieden

Ich begrüße das Urteil, weil es nach 13 Jahren Streit endlich die Chance bietet, Rechtsfrieden in den Schmerzensgeldverfahren zwischen Betroffenen und Institutionen einkehren zu lassen. Zuletzt hatte für die katholische Kirche eine „Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen“ (UKA) über die Höhe der Zahlungen entschieden und sich dabei in der Leistungshöhe „am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder“ orientiert.

Dennoch war – erwartbar – kein Frieden eingekehrt, weil das Verfahren selbst wieder letztlich ein kirchliches Verfahren war, und nicht das einer unabhängigen richterlichen Instanz. Die UKA wird nun ihre Kriterien noch einmal präzisieren können, und im Fall der Fälle werden Betroffene bei einer unabhängigen Instanz gegen die Höhe de Schmerzensgelder klagen können, wenn diese ihnen nicht genügen.

Das Urteil ist auch deswegen zu begrüßen, weil es über den kirchlichen Raum hinausweist. Staatliche Schulämter, die seit Jahrzehnten ihre „Wanderpokale“ von Schule zu Schule weiterreichen, der Olympische Sportbund, Jugendämter, Kinder- und Jugendlichen-Psychiatrien und alle vergleichbaren Institutionen sind durch das Menne-Urteil potenziell mitbetroffen. Damit kommt das Thema Missbrauch endlich auch in der Gesellschaft so an, dass man sich ihm nicht mehr entziehen kann.–


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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(ukrainisch Володимир Олександрович Зеленський; * 25. Januar 1978 in Krywyj Rih, Ukrainische SSR, Sowjetunion) ist seit Mai 2019 der Präsident der Ukraine.

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