Autobahnkirche Siegerland

Versöhnung  

Im Gewölbe an der A45

Ein Besuch in der Autobahnkirche Siegerland

Die Autobahn ist ein Sinnbild für den Wunsch nach schnellem Vorankommen, für „Strecke machen“. Und doch gerade hier gibt es Orte, die genau das Gegenteil versprechen – und anmutig einlösen. So wie die Autobahnkirche Siegerland.

„Heiliger Batman, bitte für uns.“ Wir sind den Schildern von der Autobahn gefolgt und nach einer kleinen Umleitung und einer Extrarunde im Kreisverkehr steht unser Auto nun auf dem Parkplatz. Sobald wir an einer Hecke vorbeikommen, stellt sich gleich die Batman-Assoziation ein. Dazu ist gar nicht viel Vorstellungskraft nötig: Zwei Turmspitzen ragen aus dem polygonen Baukörper auf – ikonisch, so wie die Ohren des Comic-Helden. Sie sorgen mit großen Fenstern für Lichteinfall ins Innere. Ein langer Steg führt dorthin – uns erwartet dort eine Kontrasterfahrung.

Autobahnkirchen oder -kapellen sind in Deutschland eine Instanz. Knapp fünfzig solcher Orte gibt es derzeit – direkt an den Autobahnen sind derzeit als spirituelle Raststätten ausgewiesen oder eigens errichtet. Oft gehen sie auf private Initiativen und Vereine zurück und sind in der Regel von mehreren Konfessionen gleichermaßen betreut. Im verkehrstechnischen Schilderwald haben sie sogar ein eigenes Zeichen: Eine schwarze Kirchensilhouette auf weißem Grund zeigt auf Autobahnschilder, dass an der nächsten Ausfahrt eine solche Kapelle zur Rast einlädt. Die Form der Kirche auf dem Zeichen hat einen prägnant spitzen Turm – auch hier stellt sich wieder die Batman-Assoziation ein: Tatsächlich ist es so, dass die Form des Baukörpers das Piktogramm auf den Schildern zitiert.

Im Mai 2013 wurde die Kirche nach gut zwei Jahren Bauzeit eingeweiht. Die Formensprache erzeugte große Resonanz: Im Folgejahr erhielt sie unter anderem vom Fachportal Architizer Publikumspreis für das „spektakulärstes religiöses Gebäude 2014“.

Autobahnkapelle Siegerland

Mitten in der Autohof-Einöde

Autobahnkirchen teilen nicht nur die unmittelbare Nähe zu den Fernstraßen und dem monotonen Rauschen der Autos, Motorräder und LKWs, sondern haben auch immer diese spezielle Nachbarschaft: Zapfsäulen, Schnellrestaurants, Brummi-Parkplätze, überlaufende Mülleimer und E-Ladesäulen. Hier an unserer Autobahnkirche Siegerland kommt noch ein großer Parkplatz und ein Hotel dazu. Die übliche Autohof-Einöde.

Auf der anderen Seite der Kirche öffnet sich der Horizont zu den anmutigen Bergen des Siegerlands. Büsche, Bäume, Felder. Wer den Lärm ausblendet, glaubt nicht, direkt an der A45 zu stehen.

„Das hätte ich jetzt nicht erwartet!“

Wir laufen über den Steg. Gut zehn Meter ist er lang und fühlt sich im Kontext der Autobahn wie eine Auffahrt oder ein Zubringer an. Der Schriftzug am Eingang lässt uns kurz innehalten. „Er hat seinen Engel befohlen, dich zu behüten auf allen deinen Wegen.“ Ein Vers aus Psalm 91 Typografisch Versierte müssen schmunzeln: Die Buchstaben sind im Stil klassischer Autoheckbeschriftungen aus den 60er und 70er Jahren gestaltet – die Schriftart hat früher schwungvoll die Typenbezeichnungen und Hubraumgrößen auf Kofferraumklappen gestaltet, hier transportiert sie einen wunderbaren Zuspruch: Behütet sein. Auch wenn der Psalm 91 wohl in einer Kriegssituation verfasst wurde, entfaltet sich seine Wirkung im Kontext von Überholmanövern, engen Baustellenspuren und undurchsichtigen Staus ebenso: Hier wird zum Vertrauen auf Gott aufgerufen.

Wer den Kirchenbau betritt, schreitet nicht voran – sondern bleibt erst einmal stehen. Das Auge braucht etwas, bis es sich vom hellen Außenbereich an den dunkleren Innenraum gewöhnt hat. Aber was ist das hier? Damit hätten wir angesichts der strengen Linienführung der Außenform nicht gerechnet.

Runde Gewölbe aus Holz formen eine Höhle. Was für ein Kontrast! Die Wände und auch die Decke sind mit einem Raster aus Holzplatten geformt. Ganz anders als das der Geometrie außen sind hier die Formen viel Organischer. Ein Gewölbe aus Wellen. Man kommt nicht auf die Idee, dass der Grundriss eigentlich quadratisch ist. Wie könnte man das Raumgefühl beschreiben? Eines unserer Kinder bringt es auf den Punkt: „Papa, da fühlt man sich irgendwie geborgen. Und das hier ist nicht so langweilig wie sonst eine normale Kirche.“

Der Raum ist zum Altar hin ausgerichtet. Dort öffnet sich die Holzstruktur zu einer hellen Apsis. Licht fällt von oben über eine der Turmspitzen herein. Ein weißes, schlichtes Kreuz sammelt die Aufmerksamkeit. Wir sind nicht die einzigen, die sich auf den Hockern niederlassen und einfach die Ruhe hier auf uns wirken lassen.

Die Verweildauer für eine Familie mit jungen Kindern hier sehr lange. Etwa zwanzig Minuten bleiben wir hier und lassen den Blick über durch den Raum wandern. Immer mehr Details fallen ins Auge: Die Holzstruktur bildet immer wieder Nischen und neue Formen. Die Sitzgelegenheiten erinnern an einen der bekanntesten Hocker überhaupt, den Ulmer Hocker, geschaffen 1954 vom Designer Max Bill. Ebenso wie das Lesepult sind sie aus dem gleichen Material wie die Innenkuppel gefertigt. Ich glaube, diese Reduktion bei der Materialwahl trägt zur Ruhe bei, von der man hier drinnen ummantelt wird.

„Für den Opa. Und überhaupt.“

Dem Altar gegenüber steht ein großer Kerzenständer. Es brennen viele Lichter dort und auch unsere Kinder möchten eine Kerze anzünden. „Für den Opa. Und überhaupt.“

Gleich geht es wieder weiter auf der Autobahn mit Reisverschlussverkehr, Schulterblick, Navigationsstimme. Wir halten noch einmal vor dem Psalmvers inne. „Er hat seinen Engel befohlen, dich zu behüten auf allen deinen Wegen.“ Was für ein schöner Zuspruch. Er gilt rund um die Uhr. Ebenso wie die Öffnungszeiten dieser Kapelle. Egal, ob Stau oder freie Fahrt.

Fotos: © Stefan Weigand


Stefan Weigand

Auf die einsame Insel würde er seine Familie, ein schönes Buch und seinen Plattenspieler mitnehmen. Nach dem Theologie- und Philosophie- Studium in Würzburg und Indien war er zunächst Sachbuchlektor in einem großen deutschen Verlag. Seit mehreren Jahren führt er eine Agentur für Buch- und Webgestaltung und wird als Konzeptionsberater bei Buchprojekten gebucht. Er ist Vater von vier Kindern. Als Autor widmet er sich einfachen Dingen, der Rolle als Vater, Jazz und Indie-Musik und Kulturthemen. Abseits der beruflichen Wege geht er mit seiner Familie zum Geocaching und an ruhigen Abenden widmet er sich seinem Faible für Literatur und Schallplatten.
www.stefan-weigand.com

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