Hochschulseelsorge während der Covid 19-Pandemie: Auswirkung von Lockdown und Quarantäne
Beratungsrelevante Themen für Studierende sind in „normalen“ Zeiten oft Arbeitsstörungen, das Gefühl der Überforderung, ein mangelnder Selbstwert oder Probleme mit dem Elternhaus. Thematisiert werden in Gesprächen auch Prüfungsangst, Schreibprobleme, Fragen der (Studien-) Orientierung, der Partnerschaft oder des Glaubens. Luise Gruender ist Hochschulseelsorgerin und schaut auf die psychischen Herausforderungen, die Studierende durch die Corona-Situation haben.
Jetzt während der Corona-Pandemie klagten viele vor allem über Anzeichen einer Depression, hatten emotionale Schwierigkeiten, Angst oder Verhaltensstörungen. Krisen- oder Notfall-Symptome führten nicht zuletzt auch zu psychosomatischen Veränderungen. Statt persönlicher Treffen an der Universität, fand die Beratung der Hochschulseelsorge als Videocall online oder am Telefon statt.
Was sind die häufigsten Auswirkungen von Lockdown und Quarantäne?
Am liebsten liege ich den ganzen Tag im Bett. Ich habe keine Lust aufzustehen, ich bin müde, denn ich lag die ganze Nacht wach und habe gegrübelt. Mit der Hausarbeit fange ich morgen an. Ich habe ja noch so viel Zeit bis zur Abgabe.
Student (21) im Beratungsgespräch
Prokrastination, also das Verschieben und Aufschieben von anstehenden Aufgaben oder Tätigkeiten, und Einsamkeit, das waren sehr häufige Themen der Studierenden in der Beratung. Die Alltagsstruktur bestand nicht mehr und viele kämpften mit oder gegen eine Medienabhängigkeit. Wer den ganzen Tag am Computer lernen muss, der vergisst die Realitäten des analogen Lebens, zumal wenn er alleine lebt und so tagelang keine echten Kontakte mehr hat.
Viele Stressfaktoren
Der Umgang mit Stress ist gar nicht so einfach, nicht nur in Pandemiezeiten. Auf der ersten Ebene gerate ich durch verschiedene Stressoren in Stress, zum Beispiel durch eine Leistungsanforderung, durch zu viel Arbeit, durch soziale Konflikte, Zeitdruck oder andere Störungen. Zusätzlich kamen in der Corona-Pandemie neue hinzu, nämlich die ungewisse finanzielle Lage, schließlich hatten viele Studierende ihren Job verloren. Oder die Frage nach einem sicheren Internetzugang. Vor allem in Prüfungssituationen führte das trotz perfekt erlerntem Wissen zu einem großen Stresserleben.
Ganz abgesehen davon, dass nicht jede*r Studierende ein neues gut funktionierendes technisches Gerät zur Verfügung hatte, kam es durch die technischen Schwierigkeiten auf allen Seiten zu zahlreichen Verschiebungen von Prüfungsterminen. An vielen Hochschulen und Universitäten gab es die Möglichkeit, die Klausuren zu schreiben und bei nicht zufrieden stellendem Erfolg zu wiederholen. Für Lernende mit hohem Anspruch führte das zu einem regelrechten Klausuren-Marathon. Natürlich änderte sich auch die Art der Prüfung – nicht alle Fächer und Themen sind in gleicher Weise für Online-Prüfungen geeignet.
Pandemie führte zu Einzelkämpfertum
Damit hängt die 2. Ebene des Stressgeschehens zusammen, nämlich dass ich mich selbst unter Stress setze: Indem ich ungeduldig bin, alles perfekt machen möchte und versuche, die Kontrolle zu behalten. Durch die Isolation und Distanzpflicht während der Pandemie wurden die Studierenden noch mehr zu Einzelkämpfer*innen, was die Selbstüberforderung verstärkte. Kein Wunder, dass es dann Probleme mit dem Zeitmanagement gab, die Angst vor dem Versagen wuchs und in massiven Selbstzweifeln endete. Gruppenarbeiten konnten zwar online stattfinden, jedoch nicht in der gewohnten kooperativen Lernatmosphäre mit einer Tasse Kaffee gemeinsam im Seminarraum.
Daraus entsteht dann wohl oder übel die 3. Ebene des Stressgeschehens, nämlich eine Stressreaktion des Körpers, die langfristig sogar zu Erschöpfung und Krankheit führt. Denn wenn ich im Stress bin, kommt es zu einer körperlichen und emotionalen Aktivierung. Diese führt oft zu einer mentalen oder Verhaltens-Aktivierung, die der Körper nicht auf Dauer durchhalten kann:
Ich saß auf dem Boden, in mich zusammengekrümmt und weinte. Ich wollte niemanden mehr sehen oder hören. Dieses eklige Gefühl, raus aus meinem Körper zu wollen, hatte mich ganz vereinnahmt und ich wusste nicht mehr, wohin mit mir. Alles in meiner Gefühlswelt tat weh und ich fühlte mich mit meinen Schmerzen unfassbar einsam,
Studentin (22) im Beratungsgespräch
Aber wie komme ich zu einer Gelassenheit in aufgeregten Zeiten?
Es ist gar nicht so einfach, den eigenen „Ruhepol“ zu finden.
Für den einen ist es, sich mit jemandem im gemeinsamen Gespräch auszutauschen, für den anderen ist es Bewegung am besten in der Natur.
Für den einen ist es das Lesen eines guten Buches oder das Erleben eines spannenden Films, um in fremde Gedankenwelten einzutauchen, für den anderen ist es das Auspowern des eigenen Körpers oder Entspannungsübungen, um ruhig zu werden.
Corona hat uns gelehrt, dass es manchmal gut ist zu „lassen“, weil ich im Moment einfach nichts „machen“ kann. So einfach und doch so schwer …
Aus der Krise lernen
Mit Blick auf die Studierenden sollte und darf es kein viertes reines Online-Semester geben. Ganz schnell müssen die Bibliotheken und Mensen öffnen. Wichtig ist, dass alle wieder an ihren Studienort ziehen und nicht länger im Elternhaus wohnen. Viele haben ihre Hochschule oder Uni noch nie von innen gesehen und kennen ihre Kommilitonen nur digital. Zeit, das zu verändern! Zusammen mit der während der Corona-Zeit verbesserten digitalen Lehre wird die Mischung zu einer Verbesserung von Forschung und Lehre in Deutschland führen, aber ohne Präsenz und persönlichen Kontakt geht es nicht mehr, die Tiefe und das „Einsickern“ fehlen!
Ein persönliches Treffen ist doch etwas ganz anderes als ein „online“-Meeting. Das merke ich vor allem jetzt in den letzten Wochen, seit es wieder möglich ist, sich „face-to-face“ zu sehen. Auch mir selbst geht es seither deutlich besser. Ich hoffe, dass jeder durch die Krise lernen konnte, was ihm oder ihr hilft, turbulente Zeiten gut und mit Anstand zu überstehen, ja sogar möglicherweise einen eigenen Anteil zur Gestaltung einer positiven Zukunft für sich selbst und andere zu leisten.
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