Der Schriftsteller Frank Berzbach im Interview über Glaube, Mystik, Diesseits – und Jenseits
Frank Berzbach schreibt für den Playboy und das Jesuiten-Magazin, hat ein Faible für Schallplatten und analoge Dinge, ist Kenner in Sachen Popkultur – und hat nun ein Buch über christliche Spiritualität geschrieben. „Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags“ heißt der Band. Wir haben ihn dazu befragt.
Ein Buch über Spiritualität und Glauben – noch dazu ein ganz persönliches: Das ist in unserem säkularen Alltag nicht unbedingt das naheliegendste. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Meine elf Vorgängerbücher kreisen um das Thema Kreativität. Ich wollte mit dem Buch ein Stück tiefer eindringen, es setzt meinen »Kunst ein kreatives Leben zu führen« fort. Wer sich mit dem schöpferischen Leben beschäftigt, der wird die Transzendenz – konkreter: Gott – nicht los. Es war an der Zeit endlich das Thema des christlichen Glaubens in den Mittelpunkt des Nachdenkens zu rücken.
Ich wollte will es auch konkret bezeichnen: Es geht mir nicht um allgemeine, selbstgebastelte Spiritualität, es geht mir um den christlichen Glauben, um Religion. Dieser Glaube ist mein Zentrum, meine Wurzel. Unser christliche Kultur ist die Matrix, in der das Schöpferische entsteht; und ich möchte nicht ganz blind umherirren. Zu erkunden, zu verstehen, das war und ist meine Mission. Es geht um mein Christentum.
Haben Sie beim Schreiben auch etwas Neues für sich entdeckt?
Ich war immer interessiert an der Bibel, an der Geschichte der christlichen Orden und an der Mystik. Für das Buch bin ich viel konkreter in diese Themen eingestiegen. Meine Gespräche, vor allem mit den Jesuiten, sind viel intensiver geworden. Die Kunststation St. Peter und die Antoniterkirche in Köln, der »Kleine Michel« in Hamburg, noch einige andere Orte spielen für mich inzwischen eine große Rolle.
Es gab von einem meiner Vorbilder, Karl Rahner, diese Beobachtung, dass es ein Christentum außerhalb der Kirche gibt. Ich denke dieses leichtfüßige Verlassen der Kirche, sei es aus Steuergründen (mehr Konsum!) oder weil mir persönlich ein Detail nicht so passt (Egozentrik!), hat ein Ausmaß erreicht, dass ich auf etwas ganz diametrales Hinweisen will: Es gibt sogar eine Christentum innerhalb der Kirche!
Ich habe seit dem Buch eine viel geringere Distanz zur Kirche selbst. Die Leute, die mir dort begegnen, kommen mir ernsthafter, klüger, tätiger und weniger angeberisch vor als die egobezogenen »Spiritualisten« außerhalb. Auch in der Kirche gibt es viel ärgerliches, darüber schreibe ich auch, aber dieses Segment ist nicht meine Kirche.
Ich hab den Luxus, nicht einem Erzbischhof unterstellt zu sein, aber er wird mich eben auch nicht los. Daraus resultiert meine Orientierung an den Orden: sie sind unabhängig.
Was würde Ihnen fehlen, wenn Sie den Glauben nicht hätten?
Das kann ich mir als jemand, der seit der Kindheit „ohne Pause“ christlich, sogar katholisch glaubt, gar nicht vorstellen. Man würde meiner Seele und meinem Alltag wohl das Entscheidende amputieren. Gebete strukturieren den Tag, die christlichen Werte bestimmen mein Denken, die Ideen von Dankbarkeit, Demut und Hoffnung, zuerst die Liebe, sind keine ungläubigen Instanzen; es sind die Instanzen meines Lebens.
Ich will in keiner Welt leben, in der Kirchenglocken nur Ruhestörung sind.
Ich freue mich also jede Stunde, wenn ich sie höre! Ich habe lange Philosophie studiert, auch Wissenschaftsgeschichte – in der Topliga der Kreativen trifft man zum einen nur ganz wenige Atheisten, zum anderen beeindruckten mich dann doch irgendwann die Theologen mehr. Sie fügen ihrem Denken und ihrem Wissen die praktische Erfahrung der existenziellen Arbeit in der Gemeinde hinzu. Von der Wiege bis zur Bahre kennen sie das Leben und zwar nicht nur aus Büchern.
Man kann über den Tod intellektuell schreiben und man kann zugleich die Situation am Bett eines sterbenden Menschen kennen. Gute Theologie ist geerdete, lebensgesättigte Philosophie, so erscheint es mir manchmal.
Im Buch tauchen immer wieder Heilige auf – gibt eine Heilige oder einen Heiligen, den Sie besonders schätzen?
Ignatius von Loyola und Teresa von Ávila sind meine Leitsterne. Aber ich liebe viele Heiligenlegenden und ihre maßgebenden Menschen. Im Gegensatz zu den vielen Ersatzgöttern, die die Popkultur generiert, sind das doch etwas gewichtigere Menschen. Inzwischen ist Alfred Delp, der zum Kreisauer Kreis gehörte, für mich eine zentrale Gestalt geworden.
Viele Menschen erleben unserer Zeit als sehr kurzlebig. Ist Religion vielleicht so etwas wie eine Möglichkeit, aus dieser Kurzlebigkeit herauszukommen?
Der Zeitgeist dominiert, obwohl eine Retrowelle nach der anderen über uns schwappt. Ich glaube, dass der traditionelle Glaube uns über den Zeitgeist hinausheben kann. Die Formen, die Kunst, die zeitlosen Werte, all das ist alt, tradiert, zugleich lebendig. Welche Orte außer der Kirche existieren noch, in der es nicht um Optimierung, Trend oder Geld geht? Welche Texte enthalten eine Glaubwürdigkeit und einen Ernst wie die der großen Theologen oder Heiligen?
Mir erscheint die Massenkultur nur noch Unterhaltung und Konsumspielerei, aber eine halbe Seite im Gefängnistagebuch von Alfred Delp zu lesen, das ersetzt ein Streamingdienstabo. Wer sich nur dem Zeitgeist verschreibt, ist bald out. Das muss ungeheuer anstrengend sein, und frustrierend. Aber Weihrauch, etwas vereinfacht gesagt, gab es gestern und wird es wird ihn morgen geben.
Der Untertitel Ihres Buches lautet „Eine Mystik des Alltags“ – wie kommt ihr Glaube im Alltag vor?
Mich interessieren die großen Fragen nicht so sehr, sondern die lebenspraktischen, die uns nahen Gegebenheiten. Es gibt die Stille und das Sprechen, das Denken und das Handeln, es gibt Kunst und Musik. Wir ernähren uns (wie?), wir hören Musik (welche?), wir lesen (was?) und arbeiten (für wen?). Wenn das nicht in Bezug zu Gott steht, brauche ich den Glauben nicht – und die nur weltlichen Phänomene werden zum zerstreuenden Spiel. Ich bin interessiert an der Tiefe der Dinge. Was finden wir auf dem Grund wenn nicht den Glauben? Zur Mystik wird das alles durch die Haltung der permanenten Wanderung.
Wir sind hier auf der Erde nicht zu Hause, sondern nur zu Gast. Wir besitzen nichts, sondern passen nur eine Zeitlang auf unser Eigentum auf. Was lag vor der Geburt, was kommt danach? Wir sind hier konfrontiert mit einer ganzen Menge an Ereignissen, die uns beweisen: Wir sind aus dem Paradies vertrieben.
Aber ich glaube auch, dass Gott mit seiner Menschwerdung ein Stück Himmel auf die Erde gebracht hat – und das lässt sich wahrnehmen. Wir finden das nicht durch Wunder, sondern durch die Schönheit im Alltag, die ist sichtbare Liebe. Die Fähigkeit, diese Schönheit wahrzunehmen erzeugt eine Dankbarkeit für die Schöpfung. Und ich kann ihr helfen – Schönheit ist viel Arbeit. Aber sie lohnt sich, sie feiert Gott.
Hand aufs Herz: Was wünschen Sie sich eigentlich vom Jenseits?
Darüber mache ich mir so wenig Gedanken wie Buddhisten über den angestrebten Zustand der Erleuchtung. Ich möchte diesem Jenseits ein bisschen näher kommen – hier auf Erden. Wie wohl jeder, habe ich Angst davor, aber auch Hoffnung. Ich glaube, dort oben bei Gott sitzt Alfred Delp und die anderen Heiligen, ich glaube, es geht ihnen gut. Es reicht mir, wenn ich mal in deren Vorzimmer das Kämmerlein im Jenseits bewohne.
Mich hat eine späte Rede des betagten Karl Rahner beeindruckt: Er sagte, er wünsche sich, angesichts seines Alters, dass die Theologen doch die Vorstellung des Jenseits etwas konkreter ausarbeiten könnten – er habe nämlich auch Angst davor, was kommen wird. Das Jenseits ist so jenseitig, dass es mein Denken blockiert. Es ist vielleicht wie eine unendliche Tiefe, in die wir sinken. Woody Allen sieht es praktisch. Sinngemäß: ich hoffe, es gibt dort auch guten Wein und Schokolade.
»Die Kunst zu glauben«
Frank Berzbach schreibt über die Kunst, zu glauben und macht dabei Entdeckungen in der Welt der Musik, Literatur, Kunst und Architektur. Als Wissenschaftsjournalist versteht er es , komplexe spirituelle, philosophische, psychologische und geschichtliche Zusammenhänge auf tiefgründige Weise zu deuten – und von Ihnen eindrucksvoll zu erzählen.
Interview: Stefan Weigand
Fotos: © Irene Zandel