Ein Interview mit Regina Laudage-Kleeberg über Fragen an die Kirche und das Projekt kirchenkrise.de
Regina Laudage-Kleeberg hat das Projekt Kirchenkrise.de ins Leben gerufen. Es sammelt einfach Fragen, und zwar an die Kirche. Was sich zunächst ganz harmlos anhört, offenbart in drastischer Deutlichkeit die Unzufriedenheit in der Kirche. Und das Projekt zeigt, welchen Rollenwandel die Kirche machen muss, um überhaupt noch eine Rolle zu spielen.
Kirchenkrise – Fragen an die Kirche: Was genau ist das für ein Projekt?
Das Projekt Kirchenkrise öffnet Räume für Fragen – an die römisch-katholische Kirche insgesamt, an Amtsträger und pastorale Mitarbeitende oder an (Mit-)Gläubige. Es ist ein sehr offener, einfacher Ansatz: Jede/r kann eine Frage über die Website Kirchenkrise.de einreichen, es gibt keine intellektuelle, theologische Schranke. Sie dürfen fragen, was Sie bewegt.
Wie entstand die Idee, einfach Fragen an die Kirche einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Seit Jahren schreiben mir Menschen, die ich persönlich nicht kenne, weil sie mich im Radio gehört haben. Ich spreche alle zwei Wochen im WDR kleine Verkündigungstexte. Und da docken die Leute an und schreiben mir dann. Entweder eine persönliche Geschichte oder aber eine enttäuschende, wütende Erfahrung mit der Kirche.
Das sind ganz „normale Leute“, also welche, die nicht im „inner circle“ der katholischen Kirche zu finden sind. Entweder weil sie sich dort nicht mehr wohlfühlen oder dort noch nie einen passenden Ort gefunden haben. Und für diese oft sehr berührenden Geschichten wollte ich einen öffentlichen Raum schaffen.
Denn vieles von dem, was die Leute beschreiben, deutet auf die Probleme der katholischen Kirche hin, wird aber von vielen Kirchen-Mitarbeitenden und –verantwortlichen gar nicht als zentrale Herausforderung wahrgenommen.
Wenn Sie so wollen: Ich will die Kund:innen-Perspektive sichtbarer machen.
Fragen sind ja an sich das normalste der Welt. Hat die Kirche hier eine Art Angst vor Fragen, oder einen blinden Fleck?
Ich weiß nicht, ob es die Fragen sind, vor denen Menschen in der Kirche Angst haben. Mein Ansatz ist eher: Fragen stellt nur jemand, der auch eine Antwort haben möchte, jemand, der sich noch für das Gegenüber interessiert.
Die katholische Kirche hat lange erlebt, dass ihre Perspektive auf das Leben, die Politik und Gesellschaft gefragt war. Und sie kannte die Rolle, die das Leben der Menschen hinterfragt, zum Teil sogar moralisch meint, hinterfragen zu dürfen. Das war ein Ungleichgewicht. Denn die Kirche selbst ließ sich nicht anfragen. Lehrmeinungen waren und sind in Stein gemeißelt, da darf nicht dran geruckelt werden.
Aber durch die Emanzipation, das Mündigwerden der Gläubigen haben sich diese Rollen verschoben: Die Katholik:innen hinterfragen schon lange ihre Kirche, inzwischen aktiv und lautstark. Das passt aber mit dem Kirchenbild vieler Verantwortlicher nicht zusammen.
Welche Resonanzen erzeugt das Projekt? Welche Rückmeldung war am eindrücklichsten (positiv und negativ)?
Die wenigen negativen Rückmeldungen drehen sich um die Aussichtslosigkeit des Projekts: „Was soll das schon bringen?“ Diesen Einwand verstehe ich natürlich. Aber ich bin damit sehr gelassen.
Denn die allermeisten Rückmeldungen sind: „Danke, dass dieser Raum entstanden ist.“ Das Gute dabei ist: Sowohl Seelsorger:innen als auch Katholik:innen, die sich in der heutigen Kirchensituation nicht mehr aufgehoben fühlen, spricht das Projekt an. Und sie reagieren auf die Fragen – sehr respektvoll und persönlich.
Welche Frage hat Sie bislang am meisten überrascht?
Oh, schwierige Frage. Ich hatte im Voraus tatsächlich nur wenige Erwartungen, deswegen habe ich mich hauptsächlich gefreut, dass so viele Menschen Fragen einreichen.
Es gibt eine Frage, die mich sehr irritiert hat, weil sie mit meinem Gerechtigkeitsverständnis stark kollidiert: Der Fragesteller formulierte, warum so auf den Missbrauchstaten der Kirche herumgehackt wird, wenn es doch einen viel größeren Teil an sexualisierter Gewalt außerhalb der Kirche gibt.
Solche Sichtweisen machen mich fassungslos. Denn jeder Mensch, der das Leid von Opfern sexualisierter Gewalt auch nur im Ansatz an sich herankommen lässt, kann doch erkennen, dass dieses Leid singulär ist. Und dass gerade eine Gemeinschaft, die für sich über Jahrhunderte moralische Autorität beansprucht hat, besonders im Fokus ist, wenn sie bei ihren eigenen moralischen Ansprüchen so sehr versagt.
Ich kann mit so einer Relativierung nichts anfangen. Jede Form sexualisierter Gewalt verletzt oder zerstört sogar ein ganzes Leben.
Stellen sich auch so etwas wie Schwerpunkte bei den Themen heraus?
Ja, das würde ich schon sagen. Es sind die Themen, die auch in der Kirchenaustrittsstudie, die ich vor drei Jahren mit zwei Kollegen herausgegeben habe, schon sichtbar waren: Rückschrittlichkeit, intransparente und ungerechte Machtstrukturen, Abwertung von Frauen und Menschen, die nicht heterosexuell lieben.
In den Fragen wie in der Studie wird sichtbar: Die Leute sind nicht mehr bereit, das zu akzeptieren. Und immer mehr deuten tatsächlich auch an: Ich trete aus, um meinem Gewissen treu zu bleiben.
Sie können Fragen stellen direkt über das Portal kirchenkrise.de – über einen facebook-Kanal werden die Fragen nach und nach veröffentlicht.
Wer reicht Fragen ein?
Es gibt hier für mich große Überraschungsmomente: ein 88-Jähriger, der über das Internetportal eine Frage einreichte, hat mich schon zum Schmunzeln und Nachdenken gebracht. Wie lange trägt so jemand seine Kritik schon mit sich rum? Ebenfalls überrascht hat mich, dass die größten Fragensteller Männer zwischen 50-60 Jahren sind. Woran liegt das?
Neben der Statistik ist es aber vor allem das Individuelle, das mich bei den Fragenden bewegt. Sehr berührend sind oft die Geschichten, die die Menschen zur Frage erzählen. Eine Mutter, die aus Liebe zu ihrem schwulen Sohn die katholische Kirche verlassen möchte, eine junge Trans-Person, die gern offen über ihre Gefühle sprechen würde, aber sich das in der katholischen Kirche nicht traut.
Gibt es schon einen Plan, was aus den Fragen entsteht?
Darüber denke ich seit Beginn nach. Einige Menschen haben mir zu Interviews mit Bischöfen geraten, andere finden, die Fragen sollten einfach für sich stehen. Ich bin da selbst hin- und hergerissen. Eine Bekannte, die mit der Kirche nichts am Hut hat, sagte zu mir: „Ich hätte schon gern Antworten! Aber bitte welche, die ich verstehe, und die guttun.“
Und damit fasst sie eigentlich das Gefühl vieler Menschen in der katholischen Kirche zusammen: Sie wünschen sich in ihrer Religion Antworten, die sie verstehen (und akzeptieren) können, und die ihnen guttun.
Es ist also nicht ganz so einfach zu sagen, was aus den Fragen noch entstehen wird. Bereits entstanden ist diese kleine kritisch-religiöse Community. Und mit denen, die wollen, werde ich in den nächsten Wochen beraten, wie es weitergehen kann.
Interview: Stefan Weigand