Michael Bordt SJ und Johannes Lober über die Unwägbarkeiten und Komplexität des Lebens
Wie gelingt es, zentrale Inhalte der Spiritualität des Jesuitenordens für Menschen in Führungspositionen fruchtbar zu machen, denen Religiosität fremd oder fremd geworden ist?
Auf der Suche nach einem Anknüpfungspunkt wird man schnell fündig: Komplexität. Seit den 1990er Jahren geistert nämlich eine englischsprachige Abkürzung, ein Akronym, durch die Managementliteratur: VUCA. Demnach leben und arbeiten wir in einer VUCA-Welt, die durch vier Begriffe charakterisiert ist: volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit).
Auch wenn es nicht so klar ist, wie sich diese Begriffe genau voneinander unterscheiden und ob sie die Bedingungen, unter denen Unternehmen tätig sind, zutreffend beschreiben: Interessant ist, dass in dem Akronym Komplexität in einem bewussten Gegensatz zu kompliziert steht. Ein Problem ist kompliziert, wenn es nicht ganz so einfach zu lösen ist. Aber man kann es lösen, wenn man die richtigen Methoden anwendet, und diese Methoden kann man prinzipiell lernen.
Bei einem komplexen Problem allerdings gibt es keine Methoden, die man so einfach lernen könnte und die uns sagen, wie wir mit der Unsicherheit, die mit der Komplexität gegeben ist, gut umgehen können. Und diese Unsicherheiten sind in der Tat groß: Ob eine unternehmerische Entscheidung erfolgreich sein wird, hängt in einer globalisierten Welt von Faktoren ab, die ein Unternehmer weder vollständig einschätzen noch beeinflussen kann.
Persönlichkeitsbildung als Antwort
Um mit der Komplexität und der damit verbundenen Unsicherheit umzugehen, hilft eine fachliche Ausbildung nicht weiter. Hier braucht es Formate, die auf die Persönlichkeitsentwicklung zielen. Es braucht Menschen, die der Komplexität der äußeren Welt einen klaren inneren Kompass entgegensetzen können. Die sich auf sich selbst verlassen können. Die mit sich selbst im Reinen sind.
Auch wenn die Literatur zu VUCA suggeriert, Komplexität sei ein ganz neues Phänomen, so reicht ein kurzer Blick in die Geschichte, um zu sehen, dass es immer Zeiten großer Unsicherheit und Komplexität gegeben hat. So etwa die Zeit, in der Ignatius von Loyola lebte: die Entdeckung Amerikas und neuer Kulturen in Asien, die Reformation, die kopernikanische Wende. Eine Zeit großer geistiger Unsicherheit und Komplexität! Ignatius‘ Antwort darauf ist klar: Die Meditation, die Exerzitien führen zu einer tiefen persönlichen Erfahrung, so dass man der äußeren Unsicherheit ein inneres Fundament entgegensetzen kann, aus dem Hingabe und Vertrauen wächst. Diesen reichen Schatz an Menschen in hoher Verantwortung weiterzugeben, ist eine sehr bereichernde Aufgabe!
Empfehlung
Dieser Essay ist auch in der Ausgabe 2/2024 vom Jesuiten-Magazin erschienen. Das Magazin erscheint viermal jährlich und widmet sich in der genannten Ausgabe dem Thema »Die Schönheit der Komplexität«. Sie können das Magazin kostenlos abonnieren: