Versöhnung  

»Sich wachküssen zu lassen für etwas Neues«

Was in diesem Jahr die Fastenzeit bedeuten könnte. Ein Interview mit Wolfang Metz

Wieso eigentlich noch eine Fastenzeit? Als ob wir in den letzten Monaten nicht schon genug verzichtet hätten: auf Kontakte, unbeschwerte Bewegung und ein Leben, das eben nicht von Zurückhaltung geprägt ist. Doch nun steht die Fastenzeit ins Haus. Was tun? Wir haben Wolfgang Metz gefragt – er ist Seelsorger und hat einen Begleiter für die Fasten- und Osterzeit „Österliche Unruhe“ geschrieben.

Freuen Sie sich auf die Fastenzeit in diesem Jahr? Und wenn ja, warum?

Mmmhh, freuen wäre vielleicht ein wenig viel gesagt. Die Fastenzeit ist ja normalerweise durch eine gewisse Reduktion geprägt. Aber Reduktionen hatten wir in den vergangenen Monaten schon mehr als genug. Ich habe von mehreren Menschen in letzter Zeit gehört, dass ihre Tage gerade alle irgendwie gleich vor sich hinlaufen. Sie beschreiben ein Lebensgefühl, dass sich zwischen Home-Office-Schooling-Hamsterrad und Einsamkeits-Lethargie-Enge abspielt. So fühlt sich das Leben für viele Menschen gerade an. Für mich manchmal auch.

Ich freue mich in der Fastenzeit nicht auf eine Reduktion … wenn, dann freue ich mich auf eine Fastenzeit (und auch auf eine Osterzeit), die eine Einladung zur Veränderung beinhaltet.

Veränderung nämlich dort, wo sie im Bereich meiner Möglichkeiten liegt, denn, wenn wir immer nur über das nachsinnen, was wir nicht ändern können, dann werden wir nur Frust ernten.

Es geht um eine Einladung, in einem abgesteckten Zeitraum meinen Tagen eine eigene, bewusste Gestalt zu geben, indem ich mich zum Beispiel Stück für Stück einem Paulusbrief zuwende, Verliebtsein genieße, der Sehnsucht nach Stille nachgebe, 20 Jahre alte Mixtapes höre, mehr frage und weniger antworte, Stift und Papier zur Hand nehme, Konjunktive ernst nehme, alte Freunde anrufe und mit neuen online schreibe oder was auch immer … und mich dadurch wachküssen zu lassen für etwas Neues, das ich nicht selbst machen kann und brauche, aber dem ich Raum geben kann und darf.

Darauf freue ich mich.

Fastenzeit Metz

Fastenzeit – wie könnte man das für einen heutigen Menschen in drei Sätze fassen?

Frei nach Deuteronomium 30 geht es um Segen und Fluch. (Klingt ein wenig altbacken und ein wenig melodramatisch, aber genau darum geht es meiner Meinung nach.) Es gibt Dinge, Eigenschaften, Äußeres und Inneres, was mir im Leben, Glauben, Lieben und Hoffen hilft, und es gibt Dinge, Eigenschaften, Äußeres und Inneres, was mich am Leben, Glauben, Lieben und Hoffen hindert. Alles ist da, jetzt schon, jeden Tag, liegt vor mir: Segen und Fluch.

Sorry, erst jetzt kommen die drei Sätze:

  1. Es geht in der Fastenzeit nicht um dürfen und nicht dürfen!
  2. Es geht für mich darum zu erkennen, wie und wo ich tagtäglich Wahlmöglichkeiten habe …
  3. … und dann, wenn ich das erkannt habe, heißt es für mich: Finde heraus, was Dich zu mehr Leben, Glauben, Lieben und Hoffen führt, und wähle es („Wähle also das Leben“ Dtn 30,19) und bei allem anderen: Lass es bleiben!

Sie haben einen Begleiter für die Fastenzeit geschrieben – mitten in der Corona-Zeit. War es in diesem Jahr anders, an einem solchen Buch zu arbeiten?

Hahaha … natürlich. Ich hatte viel mehr freie Abende, an denen ich daran arbeiten konnte.

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, 2020 ein neues Buchprojekt anzugehen. Aber der erste Lockdown hat mir nicht nur viele Einschränkungen beschert, sondern auch viel Zeit zum Beten, Nachdenken und Schreiben gelassen. Es hat sich ein wenig wie Exerzitien (geistliche Übungen) angefühlt. Wenn ich es genau überlege, dann war es für mich eine wirkliche Fastenzeit bzw. eine österliche Bußzeit. Eine Zeit, die zwar von Einschränkungen geprägt war, mir aber auch viele schöne Momente geschenkt hat, die ich vielleicht in einer „normalen“ Zeit völlig übergangen und übersehen hätte.

Wie ging es dann weiter?

Aus diesen Momenten sind viele Gedanken und Texte entstanden, von denen ich einige auf Facebook und Instagram mit anderen Menschen teilte, und die anscheinend auch dem einen oder der anderen gefallen haben. Über die Zeit hinweg sind es dann immer mehr Gedanken und Texte geworden. Ein Teil davon wurde in den sozialen Netzwerken oder in Zeitschriften veröffentlicht, aber der größere Teil blieb erst einmal auf meinem Laptop. Und alle zusammen haben nun dieses Buch ergeben.

Was anders war in diesem Jahr, an einem Buch zu arbeiten? Ohne Corona hätte es dieses Buch überhaupt nicht geben, auch wenn es nur am Rande davon handelt.

Dieses Jahr hat mir dieses Buch geschenkt.

Wolfgang Metz Österliche Unruhe

Ruhe, Meditation und Gebet – das ist so das Standardrepertoire, wenn man an Spiritualität und Fastenzeit denkt. Ihr Buch heißt nun „Österliche Unruhe“ – was hat es damit auf sich?

Ruhe, Meditation und Gebet sind mir selbst sehr wichtig. Aber nur, weil man für Ruhe sorgt, meditiert und betet, heißt das noch lang nicht, dass man innere Ruhe dadurch herstellen kann.

Ganz im Gegenteil. Gerade wenn es äußerlich ruhig wirkt, merke ich manchmal, was für eine innere Unruhe in mir herrscht. Das kann manchmal ganz schön nervig sein, weil ich mich natürlich nach innerer Ausgewogenheit und Ruhe sehne, aber prinzipiell ist das auch etwas sehr Gutes, weil ich mich dann fragen muss, wo diese Unruhe herkommt und wo sie mich hinführt.

Die Begegnungen mit dem Auferstandenen in den Osterevangelien erzählen von dieser Unruhe, von Veränderung, von Sehnsucht, von Überraschung und oft auch von Furcht, aber vor allem von neuen Möglichkeiten.

Beunruhigend wird die Unruhe erst, wenn ich mich darin alleine und verlassen fühle. Aber genau hier sind es auch wieder die österlichen Evangelien, die mir geholfen haben und helfen zu verstehen, dass Gott mir oft genau in der Unruhe begegnet. Zwei Erfahrungen sind mir darin über die Jahre hinweg wichtig geworden: 1. Ich bin nicht alleine. ER selbst kommt mir immer wieder entgegen und 2. Ich darf mich offen und ohne Angst fragen, was diese Unruhe bedeutet und was sie und ER mir vielleicht darin sagen möchten.

Von nichts anderem als dieser Erfahrung in den Begegnungen mit verschiedenen Menschen und biblischen Texten erzählt mein Buch.

Das Interview führte Stefan Weigand

Bilder: © privat, © simonsdog/photocase.com, © Stefan Weigand


Wolfgang Metz

Österliche Unruhe

Ein geistliches Tagebuch von Aschermittwoch bis Pfingsten
152 Seiten, ISBN 978-3-429-05612-4, echter Verlag


ID ); $image = wp_get_attachment_image_src( get_post_thumbnail_id( $featured_post->ID ), 'quadratisch_cropped' ); $title = get_the_title( $featured_post->ID ); $content = get_the_content( null, false, $featured_post ); $content = apply_filters('the_content', $content); ?>

Weiterlesen

3
28.03.2024 Versöhnung
Tobias Zimmermann

»Ihr werdet mich nicht los!«

Es ist wirklich eine „verbeulte“ Kirche, wie Papst Franziskus sagt, mit der wir unterwegs sind. Aber diese Kirche sind nicht „die anderen“. Ich bin Teil davon, obwohl ich mich nicht erst seit gestern oft nicht daheim fühle oder dem Wunsch aktiv widerstehen muss, mich zu distanzieren. Aber sie wird mich nicht los, und ich sie nicht! – Ein ganz persönlicher Kar- und Ostertext von Tobias Zimmermann SJ

weiter
19.03.2024 Versöhnung
Nürnberg St. Clara

Was sagt das Magnifikat über Maria?

Die Evangelien berichten über Maria auf unterschiedliche Weise, und das Magnifikat, der Lobgesang Marias, ist eines der biblischen Bilder, das Maria prägnant kennzeichnet. ­Allerdings hat Maria wohl kaum das Magnifikat gedichtet. Der Jesuit Klaus Vechtel wirft einen näheren Blick auf eines der bekanntesten Gebete der Menschheit.

weiter
12.03.2024 Zusammenleben

»Es geht um jeden Menschen«

Jedes Jahr verlassen in Deutschland laut einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm rund 50.000 junge Menschen die Schule ohne Berufsreifeabschluss. Keinen Abschluss zu haben bedeutet gleichzeitig eine ungewisse und oft schwierige berufliche und persönliche Zukunft. Hier will das Ludwigshafener Heinrich Pesch Haus gemeinsam mit der Stiftung Jugend.Hafen mit dem Projekt „LU can learn“ helfen.

weiter