Ein Interview mit der Autorin und Filmemacherin Tamar Noort
Die Filmemacherin Tamar Noort, Tochter eines niederländischen Theologieprofessors, hat einen viel gelobten ersten Roman verfasst. Uwe Birnstein traf die Autorin in ihrem Haus in einem Dorf im Wendland.
Ihr Buch trägt die Ewigkeit im Titel – doch in Ihrem Roman geht es eigentlich darum, den Augenblick zu genießen.
Ja, das Buch ist ein Plädoyer für den Augenblick, für die Gegenwart, für den einen Moment, in dem wir im Hier und Jetzt sind.
Sie schreiben über die junge Pastorin Elke, die plötzlich den Glauben verliert und aus den für sie vorgezeichneten Lebensbahnen ausbricht. Als sie ihr Leben auf neue Weise versteht, legen Sie ihr diese Erkenntnis in den Mund: Die Ewigkeit ist ein schöner Ort. Was meinen Sie damit?
Die Ewigkeit meine ich als eine Gesamtheit der Existenz. Ewigkeit als einen guten Ort zu definieren bedeutet, dass Elke am Ende dahin gekommen ist, dass sie die Ewigkeit als guten Ort auch in sich selber findet – in allem, was sie mit Gott jemals verbunden hat. Das müssen nicht diese vier Buchstaben sein. Es kann auch die Erkenntnis sein, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihr verschmelzen und sie einen Weg für sich gefunden hat, wie sie ihrem Leben Richtung geben kann.
Diesen Weg beschreiben Sie in ihrem Roman bewegend und humorvoll. Warum ist Elke eigentlich zunächst nicht glücklich?
Weil sie sich in einem vorgefertigten Leben befand. In einem Leben, das sie sich nicht ausgesucht hat, sondern das sich ergeben hat. Sie hat in allen Lebensbereichen Menschen, die sich um sie kümmern. Ihre Eltern wollen, dass sie nach Hause kommt und die Kirchengemeinde ihres Vaters, der auch Pastor war, übernimmt. Sie wollen ihr also eine gesicherte Zukunft schaffen. Ihr Freund Jan möchte sich um sie kümmern, er möchte sie bekochen, er möchte einfach für sie da sein und sie lieben bis an ihr Lebensende. Sie hat überall Menschen, die nur das Beste für sie wollen – und gleichzeitig sind das Strukturen, die sie nicht wirklich selbst gewählt hat, die auch auf Glaubenssätzen beruhen, mit denen sie aufgewachsen ist und die sie nie überprüft hat. Das ists, was sie unglücklich macht.
Ein Zeichen für ihr Unglück ist ihre „Gott-Demenz“: Sie kann plötzlich nicht mehr das Vaterunser beten und keine biblischen Texte mehr lesen. Warum findet sie im Glauben auch kein Glück?
Es ist ja so, dass sie auf einmal Worte vergisst, die sie immer schon in sich hatte. Worte, die Teil ihrer DNA waren. Sie hat aber diese Sprache nie selbst mit Leben erfüllt. Die Sprache, die sie verwendet, ist eigentlich nicht ihre Sprache.
Den Begriff Gott-Demenz hat Elke gewählt, um ihren seltsamen Zustand zu benennen. Warum dieser Begriff?
Es ist natürlich keine real existierende medizinische Indikation, sondern eine Diagnose, die Elke sich selbst stellt. Mir hat es gefallen, ihr diesen Begriff auf den Leib zu schneidern, weil er so klingt, als könnte das echt eine Krankheit sein. Elke flüchtet sich in diese Haltung, die ja auch praktisch ist, weil sie den Eindruck vermittelt, als könne es Hilfe von außen geben, um den inneren Zustand zu beheben. Es wäre ja so schön, wenn es da einfach eine Pille gäbe, die sie nehmen könnte, und dann wäre alles wieder gut. Doch so einfach ist es nicht. Sie muss erstmal erkennen, dass die Gott-Demenz in ihr selber ist und auch nur von ihr selbst behoben werden kann.
Elke verliert also den Zugang zu ihrem Glauben – und findet ihn am Ende neu. Was ist das eigentlich – der Glaube?
Für mich ist Glauben ein Prozess. Der Glaube ist ein Werden und kein Sein – das finde ich eine schöne Formulierung, denn sie impliziert, dass es auch im Glauben immer Lücken geben wird. Ich meine, dass das auch die einzige Art ist, wie ein Mensch ein Leben lang glauben kann. Denn mir ist noch niemand begegnet, der sich tatsächlich intensiv mit dem eigenen Glauben beschäftigt hat und immer sagen kann, ich bin 100 % überzeugt.
Eine hundertprozentige Überzeugung ist ja auch etwas anderes als ein Glaube, denn glauben bedeutet ja schon: Ich weiß es nicht genau. Das ist vielleicht auch das Interessanteste daran.
Elke macht eine neue spirituelle Erfahrung in einem sehr unerwarteten Bereich: Sie schließt sich einer Gruppe von Motorrad-Steilwandfahrern an, die auf Jahrmärkten in einem Motodrom fahren.
Das Motodrom steht für mich für eine spirituelle Erfahrung, die weltlich ist. Für Elke ist sie aber eigentlich nur eine Illusion, denn sie sucht Ersatz. Sie sucht einen Ausbruch aus den Strukturen, in denen sie so verhaftet ist. Alle wollen nur ihr Bestes, aber sie kriegt gar keine Luft, weil sie gar nicht weiß, wohin sie ihr eigenes Leben führen soll. Und indem sie sich dieser Gruppe von Steilwandfahrern anschließt, hofft sie letzten Endes auf eine neue Gemeinde. Vermeintlich findet sie die ja sogar, weil das eine Gruppe von Leuten ist, die das durchaus auch als spirituelle Erfahrung verkaufen.
Buchempfehlung: »Die Ewigkeit ist ein guter Ort«
Elke ist eine junge Pastorin, die in Köln arbeitet. Als sie eines Tages einer alten Dame am Sterbebett das Vaterunser sprechen soll, kommt ihr kein Wort über die Lippen. Sie hat den Text vergessen, und zwar sämtlicher Gebete. Ist das Gottdemenz?
Elke beschließt, in die norddeutsche Provinz zu fahren, an den Ort ihrer Kindheit. Doch auch nach all den Jahren fühlt es sich seltsam an, mit ihren Eltern am Esstisch zu sitzen, wenn der vierte Platz leer bleibt. Elke trifft Eva wieder, die ehemalige Freundin ihres Bruders, der damals zu weit im See hinausschwamm. Und während sie am Ufer sitzt und aufs Wasser schaut, ahnt Elke, wo sie beginnen muss, nach den verloren gegangenen Worten zu suchen.
Kinder Verlag, 304 Seiten, ISBN 978-3463000343
In dieser Zeit beginnt sie auch, die Trauer über ihren Bruder, der viele Jahre zuvor verstorben ist, noch einmal neu an sich heranzulassen. Sie hält dann eine bewegende Predigt über das Gleichnis vom Hausbau auf Sand oder Fels.
Am Ende kommt ganz viel zusammen. Elke hat erkannt, dass es das Annehmen der Vergangenheit braucht, um in der Gegenwart und in der Zukunft sein zu können. Und dass dieses Fundament Risse haben darf – also, dass es in Ordnung ist, dass sie nicht genau weiß, wie ihr Glaube funktioniert und wie ihre Beziehung zu Gott gestaltet ist. Dass es ein Fundament ist, das Risse hat, durch die Licht hineinkommt, aber wo es auch ab und zu einfach knirscht. Dieses Unperfekte anzunehmen, , ist etwas, was sie zum Schluss gelernt hat.
Es gehört also zum Leben oder zur Reifung dazu, sich den schmerzhaften Momenten seines Lebens, seiner Vergangenheit zu stellen?
Ja, das das sehe ich absolut so. Ich würde es jetzt nicht als Botschaft des Buches formulieren, aber es ist auf jeden Fall für mich unerlässlich. Wer nicht durch den Schmerz hindurchgeht, der hat keine Chance, ihn hinter sich zu lassen.
Aber wenn das Fundament nicht mal gewiss ist, was ist dann noch gewiss?
Nichts ist gewiss. Das ist die Welt, in der wir leben. Und erst, wenn wir all unsere alten Gewissheiten auf den Prüfstand stellen und in eine neue Gewissheit überführen, können wir wieder sicher sein für eine Weile, bis auch diese Gewissheit wieder auf den Prüfstand muss. Ich sehe darin auch kein Problem. Ich fände es gut, wenn wir eine Gesellschaft wären, die sich ständig kritisch mit alten Gewissheiten auseinandersetzen würde.
Was im Licht der Ewigkeit erträglich ist.
Genau. Denn die Ewigkeit ist ein guter Ort – würde Elke sagen.
Fotos und Interview: Uwe Birnstein