Sinn  

Wozu braucht Weihnachten diesen Stall?

Über den Wert von Dreck und Gestank im Christentum

Da ist sie wieder, die Erzählung, die Kinder wie auch Erwachsene immer wieder in den Bann zieht. Die Stelle, die in der Bibel irgendwie zum Allgemeinwissen in christlich-geprägten Gesellschaften gehört: Die Geburt Jesu. Und damit fest verknüpft: Die Szenerie des Stalls. Diese Kulisse scheint einerseits kitschig relevant, andererseits inhaltlich irrelevant für unser Christentum zu sein. Also fragt unsere Autorin Regina Laudage-Kleeberg: Wozu braucht Weihnachten diesen Stall?

„…und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ (Lk 2,7, Einheitsübersetzung). In der Guten-Nachricht-Übersetzung wird der Ort erwähnt, wo die Krippe ist: „Sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe im Stall. Denn in der Herberge hatten sie keinen Platz gefunden.“

Wie viele Male habe ich diesen Stall schon in goldig beleuchteten Weihnachtskrippen gesehen? Die glückliche Familie, das Baby in warme Decken gewickelt in der Mitte. Alle stehen traut drumherum. Ochsen, Esel, Hirten, Weise, Josef und Maria.

So viele Nebenrollen

Jetzt, in den Jahren, in denen ich mit meiner Kirche hadere wie noch nie, schaue ich grummelig auf die heimelige Szene. Ich möchte rufen: Warum steht ihr der Geburtsschmerz nicht in das erleichterte Gesicht geschrieben? Woran erkennt man Josefs Nachdenklichkeit, ob dieses Patchwork-Wunder wirklich klappen wird?

Warum sprechen wir nicht öfter darüber, dass die ersten Zeugen (ich vermute, es waren tatsächlich nur Männer) eigenbrötlerische Schafhirten waren, die ihre Nächte tatsächlich gern allein und draußen mit ihren Tieren verbringen? Wo bleibt die zoologische Theologie der Nutztiere, die auch noch zuschauen dürfen?

Der Stall

Es gibt viel über die Nebenrollen und Statist:innen im Geschehen zu sagen. Aber heute geht es um die Kulisse: Den Stall. Und zwar ohne die kitschige Verklärung von sauberem Stroh, schöner Beleuchtung und sanft-strahlenden Figuren.

Stellen wir uns den Stall mal so vor, wie er ist. Sagen wir, es geht nicht um einen Industriestall, wo die Tiere auf Latten stehen, damit die Fäkalien direkt dazwischen fallen. Stellen wir uns einen altmodischen Stall mit Stroh vor. Zuallererst: Es stinkt. Ich kenne keinen Stall, wo es nicht nach Mist riecht, wo nicht links oder rechts gerade ein Tier uriniert und man von Glück spricht, wenn man keine Spritzer abbekommt. Also eher ein herber Duft anstatt Weihrauch. Das Zweite: Es ist laut. Muhen, Trampeln, Schnaufen, Nüstern blähen, ein tierischer Klangteppich, keine andächtige Stille.

Das Dritte: Es ist Dämmerlicht, da ist Bewegung, vielleicht sogar ein Treten von Tier zu Tier, ein Drängeln beim Futter, das – ach ja – bei Ochsen auch in keiner Krippe ist, sondern in einer schlammig grau-grünen Trog-Rinne. Wenn es überhaupt Heu gibt, dann für Pferde oder Esel, eventuell sogar in einer metallenen Krippe. Aber Holzkrippen sind eher die romantische Ausnahme.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ställe vor 2023 Jahren viel besser aussahen. Andächtig, still, sauber, duftend war es bestimmt nicht.

Ran an den Mist!

Warum ist das so wichtig für das heutige Christentum in satten Kulturen? Ganz einfach: Weil wir diese Religion dekadent domestiziert haben. Selbst dieser kirchliche Anders-Ort der ersten Stunde ist unaushaltbar verklärt. Anstatt das Menschliche im Dreck zu zelebrieren, zelebrieren wir – zum Teil mit großer Unmenschlichkeit – die Reinheit: die Reinheit der Regeln, des Immer-So-Gewesenen, des Von-Gott-Gegebenen.

Die Weihnachtsbotschaft dieses Stalls ist also: Näher ran an den Mist! Da ist es warm, aber dreckig. Da geht das Christentum los.

Wozu braucht das Christentum also diesen Stall? Wer als Christ:in diesen Ort ernst nimmt, muss sich schmutzig machen, um wirklich dabei zu sein.

Kirchlich heißt das: Es braucht die krassen Hochglanzorte nicht, Weihnachten findet im Stall, Ostern in einem Erdloch statt. Provisorien sind die Orte dieser Weltreligion.

Gesellschaftlich heißt das: Das Unehrliche ausmisten. Nicht auf die eigene Bequemlichkeit achten, sondern darauf, dass es alle warm haben können.

Für uns selbst heißt das: Sich dem eigenen Dreck stellen, dem Gestank, dem Krach. Und: Auch in den wunderlichsten Konstellationen Wunder entdecken.

Foto: © shutterstock.com


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