Tobias Zimmermann Cafe Sami

Versöhnung  

»Bist du es, der da kommen soll?«

Eine Weihnachtspredigt von Tobias Zimmermann SJ

„Bist du es, der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Liebe Schwestern und Brüder, diese Frage hat uns der Advent geschenkt, überliefert von Johannes dem Täufer. Er stellt sie Jesus aus dem Gefängnis. Sein Leben hat er gehofft und darauf gesetzt, dass der Messias kommt und Gerechtigkeit schafft. Johannes hat die Armen und Versehrten getröstet: Bald kommt der, der Recht schafft im Namen des Herrn. Den Mächtigen hat er furchtlos ins Gewissen geredet. Das wird ihn nun das Leben kosten. Aus seiner Frage herauszuhören: Hat es sich gelohnt?

Johannes schaut auf Jesus, aus seiner Frage hören wir raus: Eher gemischte Bilanz! Klar, mit seinen Heilungen setzt Jesus machtvolle Zeichen eines Neubeginns für das Leben. Aber sein Umgang!? Er hat Umgang mit Prostituierten. Unter seinen Anhängern sind die sozialen Rebellen, aber halt auch die schlichten frommen Gemüter, ein Petrus etwa. Er kritisiert den Machtmissbrauch, lässt sich aber auch zu den Festmählern der Reichen einladen und hält Mahl auch mit den Bütteln der Macht, den Zöllern. Ist das wirklich schon der machtvolle Neubeginn?

„Bist du es, der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Fragen wir uns das nicht auch? Soviel Nüchternheit muss sein, auch an Weihnachten. Wo ist denn Gott angesichts all der Katastrophen, vor allem auch angesichts all der menschlichen Katastrophen, angesichts der schreienden Ungerechtigkeit und des Unfriedens? Und die Kirchen? Sind sie nicht längst selbst zum versteinerten Mahnmal der Tatsache geworden, dass sich nichts ändert? Wie also Weihnachten feiern mit all dem?

Wundererzählung und nüchterner Blick auf die Welt

So sehr die Weihnachtsgeschichte – ungehemmter noch als das Neue Testament sonst – eine Wundererzählung ist, so nüchtern ist ihr Blick auf die Welt. Zwei Pole strukturieren die Geschichte. Augustus und seine Macht bilden den Pol am Eingang der Geschichte: Egal, ob es diesen konkreten Zensus tatsächlich gegeben hat, der die schwangere Maria und Josef zwingt, ihr Zuhause zu verlassen.

Niemand in der Antike hätte bezweifelt, dass der brutale Machtmensch Augustus, die Gewalt hatte, die ganze Welt in Bewegung zu setzen. Und alles nur, um zu zählen, was ihm gehört. Augustus erfand den römischen Gottkönig: Versprechen und Drohung an die Untertanen zugleich: „Meine Macht zerstört jeden, der sich in den Weg stellt. Für alle, die sich unterwerfen wird alles gut. Im Glanz meines bedeutungsvollen Lebens, wird auch Euer Leben groß und bedeutungsvoll!“

Haben Sie neulich auch einen Blick auf die Pressekonferenz von Putin werfen können? Auch so ein Hochamt mit Presseleuten, die sich gerierten wie verzückte Groupies, glücklich, wenn sie zu Wort kamen, um dann nicht kritische Fragen, sondern demütige Bitten zu äußern. Man muss Außenstehender sein, damit einem die Komik auffällt. Hitlers Staatskanzlei bestand überwiegend aus riesigen Gängen, Vorzimmersälen und gewaltigen Treppenhäusern. Die Leute empfanden sich als winzig, wenn sie endlich zum regierenden Übermenschen vorgelassen wurden. Problem war nur. Hitler selbst war eher klein. Deswegen gibt es auch keine Fotografien mit Hitler an seinem gewaltigen Schreibtisch. Charles Chaplin hat die unfreiwillige Komik der sakralen Aura um den Gewaltmenschen Hitler schonungslos in ihrer Lächerlichkeit entlarvt.

Leider finden sich auch heute beim Blick ins globale Rund immer noch genug solche gewalttätigen und nackten Kaiser: Bei gigantischen Truppenparaden in China, als dickliche und verhaltensauffällige Väter der Nation in Pjöng-Jang, in der Leitung von globalen Unternehmen wie Facebook … Schaurig komisch und traurig!

Aber mal ehrlich: Schmerzen uns viele Geschichten um Machtmissbrauch in der Kirche nicht noch bitterer. weil dem krampfhaften Festklammern an Privilegien ganz abgesehen von all dem Unrecht und Leid, das sie verursachen, auch noch etwas entlarvend Lächerliches und Vergebliches anhaftet?

Die Weihnachtsgeschichte konstatiert jedenfalls: Egal wie groß die Inszenierung – am Ende sind all diese gewaltigen Weltenbeweger nur begrenzte Menschen unter dem unendlichen Blau des Himmels und ihre Versprechungen daran gemessen immer lächerlich. Auch Augustus, der mit Gewalt Geschichte machen will, kann das Wesentliche in der Geschichte nicht entdecken. Denn es bahnt sich da an, wo er nur Peripherie sieht. Am Ende auch er nur ein gewalttätigt machtvoller und lächerlicher  Ignorant!

Aber: Zur sakralen Überhöhung gehören immer zwei Seiten! Die Machthaber beuten nur einen Wunsch der Vielen aus, der schon vor ihnen da war: Der kindische Wunsch nach dem starken Mann, der alles ändert und gut macht. Und da müssen wir nicht weit schauen. Wieviel Wut hierzulande auf die sogenannten Eliten speist sich aus der Wut, „dass die da oben“ nicht dafür sorgen, dass die Probleme gelöst werden. Wieviel Zorn verkleidet nur die Unzufriedenheit mit den eigenen Grenzen, vor allem mit der brutalen Begrenztheit der Bedeutung unseres Lebens unter dem endlosen Blau des Himmels.

Muss da nicht einer sein, in dessen Abglanz sich das nüchterne Grau unseres profanen Lebens vergoldet?

Solange wir nur warten, warten, dass unsere Probleme von „denen da oben“ gelöst werden, warten dass wieder Normalität wird, warten … Und solange wir uns damit begnügen, ab und an über Weihnachten unserem Leben sentimental das Goldlametta überzuhängen, um dann wieder irgendwie durch einen grauen Alltag zu kommen. Solange sind auch wir im Kern auf dem Holzweg.

Alles und alle in Bewegung

Und damit sind wir bei dem zweiten Pol der Geschichte angekommen: Auch Gott setzt in der Weihnachtsgeschichte alle in Bewegung. Aber er setzt sichtlich auf den Alltag, das Kleine und vermeintlich Unbedeutende, auf das Profane, nicht den sakralen Glanz! Er bewegt Hirten, ihre Hürden zu verlassen. Hirten sind zur Zeit Jesu einfach die Ärmsten der Armen, am Rande der Gesellschaft, weit davon entfernt bedeutsam zu sein und Geschichte zu machen. Die können es deswegen auch nicht fassen, dass ausgerechnet ihnen sich das Geheimnis enthüllt. Aber was finden sie? Ein nacktes Kind in einer Notunterkunft. Die Weihnachtsgeschichte ist eine Liebeserklärung an den Mann aus Nazareth und sein Art, die Welt in Bewegung zu setzen. Nur, wie können wir das heute verstehen?

Madeleine Delbrêl beschreibt es in einem Gedicht:

Du hast uns heute Nacht
in dieses Café „Le Clair de Lune“ geführt.
Du wolltest dort Du selbst sein,
für ein paar Stunden der Nacht.

Durch unsere armselige Erscheinung,
durch unsere kurzsichtigen Augen,
durch unsere Liebe-leeren Herzen
wolltest Du all diesen Leuten begegnen,
die gekommen sind, die Zeit totzuschlagen.

Und weil Deine Augen in den unseren erwachen,
weil Dein Herz sich öffnet in unserem Herzen,
fühlen wir,
wie unsere schwächliche Liebe aufblüht,
sich weitet wie eine Rose,
zärtlich und ohne Grenzen
für all die Menschen, die hier um uns sind.

Das Café ist nun kein profaner Ort mehr,
dieses Stückchen Erde,
das dir den Rücken zu kehren schien.

Wir wissen, dass wir durch Dich
ein Scharnier aus Fleisch geworden sind,
ein Scharnier der Gnade;
In uns vollzieht sich das Sakrament Deiner Liebe.
Wir binden uns an Dich,
wir binden uns an sie
mit der Kraft eines Herzens,
das für Dich schlägt.

So einfach ist das: Jesus geht mit uns spazieren durch unser Leben, absichtslos, einfach, um dabei – und mit uns zu sein. Und weil er, der Menschenfreund an unserer Seite, seinen „Abba“, sein „Väterchen“ immer dabeihat, verändern sich die Orte, wo immer er hinkommt, wo immer wir ihn mitnehmen. Profane Orte beginnen von innen zu strahlen – und nicht weil ihnen jemand ein wenig Lametta umhängt. Und wir? Wir entdecken das Wunder des Lebens, wo wir vorher nur das Grau und die Last des Alltags gesehen haben. Unser Herz und unser Blick auf die Menschen ändern sich, wenn wir Jesus dabei sein lassen, wenn er beginnt durch unsere Augen und Herzen auf die Welt zu schauen, wie sie eben ist.

Es ist wie es ist. Jesus hat die Gabe, uns Menschen zu nehmen, wie wir eben sind.

Nichts und niemand ist Jesus zu profan, zu bedeutungslos oder zu „anrüchig“, um Gott, seinem Väterchen zu begegnen. Es ist wie es ist. Darin ist keine Resignation, nichts Bitteres, denn bei Jesus ist dieses „es ist wie es ist“ keines, das eine Entschuldigung ist, um stehen zu bleiben. Jesu „es ist wie es ist“ ist liebevoll und setzt in Bewegung. Es beruht auf der Fähigkeit Jesu, in allem und durch alles hindurch in Beziehung zum Abba zu bleiben, zu seinem Väterchen. Und deswegen hat der Mann aus Nazareth die Gabe, selbst da, wo wir nur noch Gebrochenheit, Kraftlosigkeit, Müdigkeit und Hilflosigkeit sehen, den göttlichen Funken zu entdecken, der alles ändert. Diese Kraft, diese Vollmacht Jesu entmündigt uns nicht. Er ist nicht der Mann, der verspricht, all unsere Probleme zu lösen.

Er glaubt vielmehr an unsere Gabe, selbst zu lieben und mehr aus unserem Leben zu machen. Und wo immer wir uns für diesen Blick Jesu entscheiden, entwickelt die Begegnung mit Jesus und durch Jesus mit dem Abba die Kraft zur Heilung und zur Emanzipation: Wir werden getröstet und bekommen die Kraft, uns in Bewegung zu setzen und selbst anzupacken.

„Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!“

Und diese Botschaft Jesu ist alles andere als unpolitisch. Jesus korrigiert Johannes nicht: Natürlich geht es auch ihm neben dem Einzelfall wesentlich auch um Gerechtigkeit! Gerechtigkeit und Solidarität sind nur der strukturelle Ausdruck von Liebe. Und deswegen gibt es im Konkreten keine Liebe, die sich abfindet mit Ungerechtigkeit und fehlender Solidarität unter Menschen. Bei Jesus ist das „es ist, wie es ist, nie die Entschuldigung für Resignation oder Zynismus. Auch Jesus ruft in prophetischer Tradition mit aller Klarheit zur Abkehr von struktureller Ungerechtigkeit auf. Man denke an die Weherufe im Matthäusevangelium: „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!“ Nein, keine Widerrufung der Botschaft des Johannes, der ganz in der Tradition der Propheten vor ihm steht.

Und trotzdem: Jesus kommt nicht um kranke Bäume zu fällen, sondern um die Krankheit in uns zu heilen. Anders gesagt: Jesus kommt nicht mit der Axt des großen Wortes, sondern mit der – selbst bei ihm – kleinen Münze der konkreten Tat, nicht mit dem Hammer des Befreiungsschlages, sondern mit der Berührung, die aufrichtet.

Liebe Schwestern und Brüder, an Weihnachten sind wir einmal wieder eingeladen zu einer Begegnung, die unser Leben verändern kann: Der Weihnachtsgottesdienst mit dem Glanz der Lichter will uns daran nur erinnern. Suchen müssen wir die Begegnung mit dem göttlichen Glanz in unserem ganz profanen, mühsamen Leben. Denn wir Menschen selbst und das Ganze des Lebens, das uns in der Schöpfung geschenkt ist, sind der Tempel Gottes. Und wir können, um mit Madeleine Delbrêl zu reden, selbst das menschliche Scharnier zur göttlichen Gnade werden, wenn wir uns mit der ganzen Kraft unserer Herzen an dieses göttliche Projekt Jesu binden: Lieben, mit der Liebe Jesu, mit der Liebe des Abba, die keinen auslässt und die liebt nicht mit der Axt des großen Wortes, sondern mit der kleinen Münze der konkreten Tat nicht mit dem Hammer des gewaltvollen Befreiungsschlages, sondern mit der Berührung, die aufrichtet. Und dann kann Weihnacht werden, Menschwerdung, jeden Tag eures Lebens im kommenden Jahr.

Und der Friede Gottes, der größer ist als alles Verstehen, wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren. Amen.

Bild: Tobias Zimmermann: »Café«, Mischtechnik, 2009


Tobias Zimmermann SJ

ist Priester, Pädagoge und Jesuit. Als Autor und als Mitbegründer des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das er seit Oktober 2019 leitet, arbeitet Tobias Zimmermann an Projekten der Entwicklung der katholischen Schulbildung und Spiritualität, in der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung von Schulleitungen und Pädagogen. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Heinrich Pesch Hauses und wirkt mit an der Weiterentwicklung der Akademie im Bereich Online-Bildung, neue Schwerpunktthemen sowie an der Entwicklung der Heinrich Pesch Siedlung, einem Modellprojekt für soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Foto: Stefan Weigand

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