Wie Spiritualität als Kraftquelle bei Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit wirksam werden kann
Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Spiritual Care“ und wie kann Spiritualität als Quelle der Stärkung bei Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit wirken? Eckhard Frick SJ zeigt die vielfältigen Aspekte dieser ganzheitlichen Betreuung und wie „Spiritual Care“ sowohl den Suchenden als auch den Pflegekräften selbst zugutekommt.
Das Fremdwort „Spiritual Care“ wird im Deutschen und in vielen anderen Sprachen verwendet, weil sich ältere Ausdrücke wie „ärztliche Seelsorge” (Viktor Frankl) oder „weltliche Seelsorge“ (Sigmund Freud) nicht durchgesetzt haben. Gemeint ist die Sorge aller Gesundheitsberufe um die Suche nach Sinn, Verbundenheit und Transzendenz. Nicht nur kranke Menschen sind auf der Suche nach der für sie passenden Spiritualität, sondern auch die Berufstätigen in Medizin, Pflege und anderen Gesundheitsberufen und ebenso die pflegenden Angehörigen. Spiritual Care meint also Sorge für die Kraftquellen anderer Menschen, aber auch Selbstsorge der Helfenden.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert den Begriff Spiritual Care unter anderem als Teil von Palliative Care, also als Teil der Sorge für schwerkranke und sterbende Menschen. Palliative Care ist mehr als Palliativmedizin: Auch Pflege, Seelsorge, Soziale Arbeit, Psychotherapie und noch andere Berufe arbeiten in Palliative Care-Teams zusammen. Vor allem aber meint Palliative Care das breite bürgerschaftliche Engagement vieler Ehrenamtlicher in der Hospizbewegung, in stationären und ambulanten Hospiz sowie bei Hausbesuchen, in der Unterstützung von Sterbenden und ihren Angehörigen im häuslichen Umfeld.
„Spiritualität“ kommt vom lateinischen Wort „spiritus“ (Geist, Wind, Atem): Spiritualität ist wie der Atem, der mich lebendig macht, den ich wie ein Geschenk bekomme, den ich nicht festhalten kann.
Ein weiter Begriff von Spiritualität
Nachdem ich fünf Jahre lang als Professor für Spiritual Care in der Klinik für Palliativmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität mitarbeiten durfte, hat sich mein Blick seit dem Wechsel an das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München geweitet. Im Lauf der Jahre ist mir immer klarer geworden, dass Spiritualität während des gesamten Lebens, von der Wiege bis zur Bahre, eine große Rolle spielt: in der Medizin schon in der Neonatologie, also in der Begleitung von Eltern, die um das Leben ihrer „Frühchen“ bangen, die zwischen Angst und Hoffnung schwanken.
Sie suchen auf unterschiedliche Weise nach Spiritualität: in der Suche nach Sinn und Kraftquellen. Manchmal kippt die Frühgeborenen-Situation in die palliative Situation: in die Begleitung des Sterbens dieser ganz kleinen Kinder und in die Abschiedsrituale nach ihrem Tod.
Beispiel: Spiritual Care in der hausärztlichen Praxis
Weitung unserer Auffassung von Spiritual Care heißt, dass ganz andere Bereiche von Medizin und Pflege in den Blick kommen, zum Beispiel die Psychosomatik und Psychotherapie, die Kinderheilkunde oder auch die hausärztliche Medizin. Um diesen Bereich näher zu erforschen, haben wir eine wissenschaftliche Untersuchung in Kooperation mit Hausarztpraxen im Rhein-Neckar-Gebiet durchgeführt (www.hopes3.de). Der Schwerpunkt dieser Studie liegt auf der Begleitung älterer Menschen; aus den praktischen Erfahrungen lässt sich jedoch sehr viel für die Umsetzung von Spiritual Care in Praxen und ambulanten Versorgungszentren lernen.
Genauer gesagt, haben wir Ärztinnen, Ärzte und Medizinische Fachangestellte in der Gesprächsführung über Spiritualität geschult und sie darin unterstützt, auf die vielfältigen Ressourcen älterer Menschen zu achten und diese Kraftquellen zu fördern: Hausmittel, soziale Kontakte und die Entwicklung der eigenen Spiritualität. Wir haben sowohl das Personal der Praxen als auch die Patientinnen und Patienten befragt. Durch den Vergleich mit Praxen ohne Schulung und gezielte Berücksichtigung von spirituellen Bedürfnissen können wir zeigen, dass die Ressourcen spirituell aufgeschlossener Patientinnen und Patienten wirksam unterstützt werden können.
Unsere Studie zeigt aber auch mögliche Hindernisse und Missverständnisse, zum Beispiel wenn Spiritualität mit der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verwechselt wird. Mit anderen Worten: Wir müssen darauf achten, dass auch Menschen, die sich als religionslos bezeichnen oder aus der Kirche ausgetreten sind, spirituelle Bedürfnisse und Ressourcen haben können.
Möchten Sie mehr über Spiritual Care erfahren?
Vom 29. September bis 1. Oktober 2023 stellt Prof. Dr. Eckhard Frick auf der Tagung “Spiritual Care in der hausärztlichen Praxis” im Heinrich Pesch Haus die Forschungsergebnisse der Hopes 3-Studie vor.