Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Kirchenaustritt
70 Prozent mehr Kirchenaustritte verzeichnet das Amtsgericht Köln aktuell. Sogar in der Wolle gefärbte Katholiken treten aus, heißt es auf Facebook. Schlagzeilen wie diese werden in meinem Umfeld reihenweise geteilt – oft ohne eigenen Kommentar. Und ich frage mich: Warum teilen katholische Menschen das? Aus Spott? Aus Solidarität? Aus…?
Ich teile aktuell keine Schlagzeilen über Kirchenaustritte mehr, weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Das abgedroschene „Ich kann die Austretenden so gut verstehen“ will ich nicht schreiben, das große „Ich kann als Mitglied der Kirche mehr an ihr bewegen als außerhalb“ wage ich auch nicht mehr zu sagen.
Denn ganz ehrlich: Das große Ganze, das Sexistische, Antimoderne, Klerikale – das verändere ich in meiner Rolle nicht. Also: Warum bleibe ich noch? Warum bleiben Sie noch, falls Sie (noch) katholisch sind?
Wegen des Jobs
Das einfachste Argument lautet: Ich liebe meinen Job in der katholischen Kirche, meine Dienste als Autorin und Predigerin – all das würde ich verlieren, wenn ich gehe.
Ist dieses Argument unlauter? Gerade im aufrichtigen Anblick des unzählbaren Leids, das innerhalb der katholischen Kirche Menschen erlebt haben und erleben? Müsste ich nicht mutiger sein und gehen?
Ein einmaliges Statement
Ein Austritt ist ein Statement. Ein einmaliges. Und dann wird es still. Wie bei einer Kündigung. Wie bei einem radikalen Kontaktabbruch. Das System macht weiter, das Individuum muss sich neu orientieren. So wäre das bei mir. Und ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde.
In der Wolle gefärbt
Denn ich bin wohl auch in der Wolle gefärbt, wenn ich ehrlich bin. Bei Wolle, die gefärbt wird, hält die Farbe länger, als wenn man den fertigen Stoff färbt. Daher kommt der Ausdruck. Und das passt zu meinem Katholisch Sein. Von Beginn an bin ich mit Widersprüchen in dieser Kirche umgegangen. Meine Mutter ist in den 1990er Jahren ausgetreten – wegen des katholischen Rückzugs aus der Schwangerschaftskonfliktberatung. Vierfache Mutter und sicherlich keine Befürworterin von Abtreibung. Aber Befürworterin von Mündigkeit, Gewissensbefragung und aufrichtiger Hilfe für Menschen in Not. Trotzdem bin ich in die Kirche gegangen – allein. Seit ich etwa neun war. Und ich bin immer wieder hingegangen, auch wenn Messen unterirdisch kraftlos waren, Seelsorger ungefragt absurden Rat gegeben haben, Klöster keine Orte des Einkehrens sein wollten…
Stundenlang kann ich aufzählen, was in dieser Kirche einfach falsch läuft – da ist so viel.
Familienlogik
Die Kirche lebt nach einer Familienlogik – das ist eine ihrer größten Schwächen. Probleme werden so lange wie möglich nach außen kaschiert und auch drinnen unter den Teppich gekehrt – Hauptsache, der gute Ruf wird nicht beschädigt.
Und gleichzeitig ist die Familie das, was jeder Mensch am schwersten aufgeben kann. Die Verbindung zur eigenen Familie bleibt stark, selbst wenn dort Gewalt, Misshandlung oder Patriarchat herrschen – der Bruch scheint ein Sakrileg zu sein.
Der Ruf ist ruiniert
Das Verrückte ist: Dieser Ruf der Kirche ist längst ruiniert. Wer ausgetretene Menschen ernsthaft befragt, weiß das. Die Menschen treten aus, weil ihnen die Bindung zur Kirche abhandengekommen ist oder weil sie nie eine hatten. Und dann ist es oft eine der vielen „ungenierten“ kirchlichen Schandtaten, die den Austritt auslösen: Ein Erzbischof, der keine Verantwortung übernimmt, ein Priester, der die Beerdigung des geliebten Menschen vergeigt, eine neue Beziehung, der der Segen verwehrt bleibt. Die Auslöser für Kirchenaustritte haben oft mit mangelnder Glaubwürdigkeit, Sexismus und pastoralen Fehlern zu tun.
„Es kann doch nicht sein, dass uns innerhalb der Kirche
völlig egal ist, wenn eine erschreckend hohe Zahl
getaufter Katholikinnen und Katholiken enttäuscht,
frustriert oder gar zornig zum Amtsgericht geht,
um den Austritt aus der Kirche zu erklären.“
(Klaus Pfeffer, Generalvikar im Bistum Essen)
Als ich mit meinen Kollegen vor drei Jahren eine Kirchenaustrittsstudie herausgegeben habe, waren wir uns alle einig: Das Feedback der Ausgetretenen muss zu einem Umdenken führen.
Seitdem ist viel passiert, viele kluge Initiativen haben im kirchlichen Nahbereich Gutes getan. Auf der großen Bühne scheint es trotz des Synodalen Wegs immer weiter auf den Abspann zuzugehen.
Warum gehe ich nicht?
Aktuell sage ich die Antwort sehr leise: Ich bleibe noch, weil ich schon lange ein Abo habe. Nicht alle Stücke sind gut, viele sogar unendlich schlecht und manches ist herausragend und hat mich tief berührt.
Foto: © knallgrün/photocase.com
Lesetipp:
Regina Laudage-Kleeberg hat hier bei Sinn und Gesellschaft die Zwiespältigkeit und Unsicherheit beschrieben, die das Warten auf das Coronatest-Ergebenis mit sich bringt.