Zusammenleben  

Über die Freude, jeden Tag wählen zu dürfen

Weshalb wir nicht nur alle vier Jahre mit der Wahl des Bundestags Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft wählen

Die fünf Grundsätze des Wahlrechts sind fest im Artikel 38 des Grundgesetzes verankert. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Über diese Grundsätze und ihre Bedeutung für mich und meinen Alltag nachzudenken, lässt mich zuversichtlich in die Zukunft blicken.  

Wenige Tage vor der Bundestagswahl denke ich darüber nach, was es für mich bedeutet, “die Wahl zu haben”.

Ich habe die Wahl. Ich bin berechtigt, meine Erst- und meine Zweitstimme zur Wahl des neuen Parlaments abzugeben, aus dem, so ist es wahrscheinlich, nach einer Phase intensiver Sondierungen eine Regierungskoalition gebildet werden wird. Fest im Grundgesetz verankert sind die fünf Grundsätze unseres Wahlrechts. Ich habe demnach die Gewissheit, dass meine Wahl allgemein, unmittelbar, frei, geheim und gleich ist. Diese Gewissheit gibt mir ein gutes Gefühl.

Ich kann, ich darf, ich habe das Recht mich zu beteiligen.

Jedoch, dies basiert ebenfalls auf den Wahlgrundsätzen, habe ich keine Gewissheit darüber, ob meine Wahl zu meiner Wunschregierung führen wird. Ich kann noch so viele mögliche Wahlszenarien zu meiner Wunschkoalition in meinem Kopf hin- und herschieben, ob ich letztlich für mich eine `kluge´ Wahl getroffen habe, wird sich erst nach Auszählung aller abgegebenen Stimmen zeigen.

Meine Stimme zählt. Oder doch nicht?

Nun schwingt bei diesen Gedanken plötzlich eine Schwere mit. Die Freude über mein Wahlrecht nach den genannten unverrückbaren Grundsätzen vermischt sich mit Respekt vor der Verantwortung. Wie kann ich angemessen mit dieser Verantwortung umgehen? Vor allem frage ich mich, wie wird mein Umgang mit einem Wahlergebnis sein, dass nicht meiner Vorstellung entspricht, doch von einer Mehrheit so gewählt wurde? An diesem Punkt schleicht sich mitunter das Gefühl ein: Zu wählen macht doch gar keinen Sinn. Das Gewicht meiner Stimme ist viel zu gering. Meine Stimme unter den 60,4 Millionen, die aktuell zur Bundestagswahl berechtigt sind, kann gar keinen Unterschied bewirken.

Dem ist nicht so.

Meine Stimme macht einen Unterschied.

Aus vielerlei Gründen. Erstens, nicht zu wählen widerspricht meinem Selbstverständnis als Demokratin. Die Wahlberechtigung nicht als Pflicht ohne Wirkung zu verstehen, das lähmende Moment nicht mitzudenken, sondern die Wahl als Möglichkeit des Gestaltens mit Freude auszufüllen, dies wünsche ich mir und uns allen.

Zweitens, nicht zu wählen widerspricht auch meiner christlichen Werteorientierung. Das aktuelle Geschehen in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt stellt uns vor komplexe Herausforderungen – in politischer, sozialer und ethischer Hinsicht. Diese Herausforderungen sollen hier nicht beschrieben und diskutiert werden. Wenn wir Wahlberechtigten große Entscheidungen darüber treffen dürfen, wie das Leben in unserer Gesellschaft gestaltet werden soll, ist jede Wahlstimme allgemein und jede Wahlstimme zählt gleich. Wieso bringe ich dennoch meinen Glauben mit einer Wahl in Verbindung?

Bewusst eine Wahl treffen, bewusst im vermeintlichen Kleinen das Große gestalten

Ich habe die Wahl. Jeden Tag – nicht nur alle vier Jahre bei der Bundestagswahl. Jeden Tag kann ich in der Supermarktschlange, im Verkehr, bei der Arbeit, in der Familie, also in zig Situationen eine Wahl treffen. Ich kann entscheiden, wie ich auf meine Mitmenschen zugehe und wie ich auf sie reagiere. Ich bin frei darin, mich für christliche Werte zu entscheiden und diese nach den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit meiner Mitmenschen mit Leben zu füllen. Entscheide ich mich für ein Lächeln und Nächstenliebe, entscheide ich mich dafür großzügig mit meinem Gegenüber zu sein, statt meinem Stress oder auch meinem Missfallen unreflektiert Ausdruck zu verleihen, so löse ich mit Gewissheit eine unmittelbare Reaktion aus.  Bleibt der fünfte Wahlgrundsatz: Die Wahl ist geheim. Nein, geheim ist diese Wahl nicht. Das muss sie auch nicht sein. Ich bekenne mich zum christlichen Menschenbild.

Mag sein, dass unter den 82,3 Millionen Mitbürger*innen die Wirkung meiner Stimme noch geringer erscheint als bei politischen Wahlen unter all den Wahlberechtigten – sie kann nichtsdestotrotz eine große Resonanz entfalten. Der christliche Glaube nimmt durch eine bewusst gewählte Haltung soziale Gestalt an, wird zu etwas Kollektivem und hat somit ethische Konsequenzen für den Einzelnen und den sozialen Kontext, der unsere Gesellschaft formt. Es stimmt, jede Stimme zählt. Freuen wir uns, wir haben die Wahl. Jeden Tag.


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