Die Kunst, Hoffnung und Liebe zu glauben
Hoffnung, so wie ich sie begreife, nimmt den Einzelnen in die Pflicht und ihn zugleich in eine große Gemeinschaft hinein. Wer hofft, der hofft nicht allein. Wer hofft, ist nicht allein.
Mehr noch: Hoffnung bedeutet Identität. Es bin immer ich, der hofft. Ich hoffe auf etwas und vor allem: Ich hoffe auf jemanden. Die Hoffnung als Identität bedeutet, dass genau ich hoffe und zugleich nicht auf mich selbst bezogen bleibe. Kann man egoistisch hoffen? Ich glaube nicht.
Man kann etwas für sich erhoffen, das sicherlich. Doch letztlich ist das Radikale an der Hoffnung, dass sie uns aus der Ich-Haft hinausführt, weil sie darauf beruht, dass jeder Mensch als Kind Gottes bereits selbst erhofft ist. Der tschechische Schriftsteller Tomáš Halík drückt das ähnlich aus und zieht die Verbindung zum Glauben: »Der Glaube besteht in der Hoffnung auf Befreiung aus dem dunkelsten Kerker, in den der Mensch geworfen werden kann, aus dem Kerker des eigenen Ichs, aus der Besessenheit von sich selbst und aus dem ausweglosen Kreisen um sich selbst.«
Hoffnung hilft, ich selbst zu werden
Wenn wir hoffen, sind wir nicht egoistisch, sondern solidarisch. Zugleich bedeutet Hoffnung nicht Entfremdung, nicht, dass ich mir selbst fremd werde, sondern im Gegenteil: Hoffnung hilft, ich selbst zu werden. Es geht
um meine Hoffnung. Ich kann nicht einfach die Hoffnung eines anderen übernehmen, überspitzt gesagt: Ich muss mir meine eigene Hoffnung erhoffen. Hoffnung bezieht sich auf Menschwerdung, auch im übertragenen Sinne. Inkarnation als Fleischwerdung bedeutet dann, dass ich meine eigene Identität finden muss, dass ich in meine Haut finden und mich dort einfühlen muss.
Zu meiner Identität gehört, dass für mich Tee und Kluntjes Hoffnung ausdrücken. Mit allen Sinnen, die ich habe. Ohne Hoffnung verliere ich mich oder finde mich erst gar nicht. Ich werde der Mensch, der ich sein kann, durch meine eigene Hoffnung. Und zugleich, wie das Martin Buber zeigt, werde ich durch den anderen, durch das Du. So können wir uns »an der vor uns liegenden Hoffnung festhalten. An ihr haben wir gleichsam einen Anker für unsere Seele, der sicher ist und fest und hineinreicht in das Innere hinter dem Vorhang« (Hebr 6,19), heißt es in der Bibel.
Lesetipp
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch “Trägt: Die Kunst, Hoffnung und Liebe zu glauben” von Heiner Wilmer mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlages.
Die Frage ist manchmal verpönt und doch zentral in unserem Leben: Was bringt’s mir? Was habe ich davon für mein Leben, persönlich und konkret? Bischof Heiner Wilmer stellt sich diese Fragen in Bezug auf das, was ihm wichtig ist, und zeigt, dass sie über Oberflächlichkeiten hinausführen zu den Kernthemen des Menschen, zu dem, was wesentlich ist. Mit Verve und Mut klopft er dabei das ab, was er erfahren und erlernt hat. Angesichts von Krisen und Umbrüchen sucht er danach, was wirklich entscheidend ist im Leben, was wirklich hilft. Heiner Wilmer spürt spirituelle Ressourcen auf, aus denen wir schöpfen können und die stark machen. Er zeigt, was ihm und anderen Menschen Mut und Hoffnung gibt – und wie er aus dem Kernbegriff des Christentums konkret für das Leben Kraft zieht, besonders in herausfordernden Zeiten.
Gott beim Tee begegnen
Wir ankern mit unserer Hoffnung in einem fremden Land, in der Ewigkeit, und dort in der Begegnung mit anderen. Denn meinen Himmel, den stelle ich mir vor mit Tee und Kluntjes, aber eben auch mit meinem Vater!– und mit Gott. Ich will den Ruf hören »Heiner, magst Du Tee?« Meine Hoffnung ist, dass ich angesprochen werde, ich angesehen werde, ich gefragt werde!– und dass ich antworten kann. Hoffnung ist deshalb so dynamisch, weil sie Begegnung bedeutet. Austausch, Überraschung, Wachsen. Wenn das Ich durch das Du wird, so bedeutet Hoffnung für mich die Gewissheit, dass das Wachsen in der Ewigkeit, im Himmel, nicht vorbei ist.
Teetrinken mit Gott, das stelle ich mir nicht vor, als säßen wir beide allein in einem Wachskabinett. Ich will auch nicht allein sein, nicht einmal allein mit Gott, sondern in Gemeinschaft. Das Teetrinken als dynamische Begegnung, als Entwicklung. So wie ich ins »Ausland« musste, um das beste Tee-Erlebnis meines Lebens zu machen, um zu lernen, dass es auch große Kandisstücke gibt und dass sie hüpfen, wenn man sie mit heißem Tee übergießt, so hoffe ich, dass auch in diesem ganz anderen »Ausland« das Erfahren und
Erleben und Lernen nicht aufhört.
Hoffnung trägt, weil sie Kraft gibt, aussichtslose Situationen durchzustehen. Im Ernstfall der Verzweiflung und des Leidens beweist sich die Hoffnung. Nur: Sie tut das auch in schönen Stunden. Hoffnung trägt, weil sie nicht nur etwas für die dunklen Momente des Lebens ist, sondern auch für die beeindruckenden, die prägenden Augenblicke. Augenblicke, die wir mit all unseren Sinnen auskosten und genießen,
in denen wir Leben satt haben.
Hoffnung ist nicht nur ein Notfallkoffer. Sie ist auch der
Picknickkorb des Lebens.
Das bedeutet gerade nicht, ihre Kraft und sie selbst zu banalisieren, im Gegenteil. Hoffnung beweist sich im Leid und den schmerzhaften Prüfungen. Doch sie nur auf den salzigen Geschmack von Tränen und das tiefe Schluchzen der Trauer zu reduzieren, nimmt ihr die Tiefe. Lassen wir der Hoffnung
ihre schönen Seiten. Zu hoffen macht Freude, begeistert, reißt mit!
Und lassen wir der Hoffnung ihre Sinnlichkeit! Sie hat eben auch eine helle Farbe und einen betörenden Geruch. Wenn die Mystiker vom »Parfüm Gottes« sprechen, dann könnte man sagen, dass zur Hoffnung nicht nur das Hören und Sehen, sondern auch das Riechen, Schmecken und Fühlen gehören. Das Leben schmeckt nach Hoffnung, das dürfen wir uns auf der Zunge zergehen lassen. Hoffnung, das hat mit Sinnlichkeit zu tun!– mit unseren Sinnen und mit dem Sinn. Dem Sinn, der mich hoffen lässt, dass ich einmal mit Gott Tee trinke und er Kluntjes für mich hat. Denn der letzte Schluck ist süß.
Fotos: © birdys/photocase.com und undrey/istock.com