Nachhaltigkeit  

Tiere achten – Tiere töten: Passt das zusammen?

Erfahrungen am Rande eines Schlachthauses

Du musst dir das Fleisch und die Wurst als lebendiges Schwein vorstellen. Ein Schwein, das gerne herumtollt, und, wenn Platz ist, einen Schweinsgalopp veranstaltet, über den du nur staunen kannst. Ja, stell dir deine Wurst als ein Schwein vor, das im Schlamm matscht, grunzt, einen keck oder böse anblickt und seine kleinen Ferkelchen liebevoll umher stupst, damit sie trinken.

Die Liebe der Tiermütter ist grandios. Einmal ist mir eine Glucke ins Gesicht gesprungen, weil sie befürchtete, dass ich ihr die Küken wegnehmen könnte. Überhaupt, eine Glucke, die brütet, das ist unfassbar, sie frisst fast nichts, sie sitzt vier Wochen nur auf diesen Eiern und es ist unmöglich, sie davon abzuhalten. Und habt ihr mal eine Kuh gesehen, wenn man ihr das Kalb weggenommen hat, weil wir Menschen ihre Milch trinken wollen? Es gibt unter den Tieren burschikosere und sensiblere Typen. Die besonders sensiblen Kühe geben keine Milch mehr nach der Trennung. Wenn man ihnen in die Augen blickt, scheinen sie zu weinen. In der Regel werden diese Exemplare als Milchkühe ausrangiert, weil sie sich nicht eignen für unser System der Milchwirtschaft.

Mein Leben beim Schlachthaus

Über 20 Jahre lang habe ich in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem kleinen Schlachthaus in Herrmannsdorf gelebt. Jeden Abend auf meiner Spazierrunde schaute ich in die Boxen, wo die Tiere im Stroh ruhig schliefen – ihre Nacht vor der Schlachtung. Rinder, Schweine, Lämmer, manchmal schauten sie mich an durch den Schlitz des Bretterzauns. Ich weiß, was ihnen am nächsten Morgen bevorsteht. Habe es schon miterlebt, wie sie betäubt werden mit dem Bolzenschuss oder dem Elektroschock, wie sie ausbluten, zerteilt werden und schon vier Stunden nach der Schlachtung in der Wurstküche nebenan als zerkleinertes Fleisch in köstliche Wurstsorten verwandelt werden, die dem europäischen Wurstkulturerbe alle Ehre machen.

Ein erschütternder Traum

Einmal hatte ich einen Traum. Alle Tiere, die in den vielen Jahren bei uns geschlachtet wurden, standen in einer Reihe hintereinander aufgestellt. Es war ein langer Zug mit Schafen, Kälbern, Schweinen, Rindern, sogar die Hühner stellten sich in der Reihe auf. Der Zug schlängelte sich auf dem Spazierweg, den ich oft ging: hinten zum Waldrand, das kleine Waldstück hindurch, wieder an den Felder entlang bis zum nächsten Weiler. Ein Tier stand hinter dem anderen und wartete. Am vorderen Ende dieses Zuges, im Schlachthaus, standen die Mitglieder meiner Familie. Auch wir warteten. Der Metzger, den ich gut kenne, stand uns gegenüber. Wir waren jetzt an der Reihe, geschlachtet zu werden. Gespenstisch, ruhig, selbstverständlich – auch die Menschen kommen einmal an die Reihe.

Der Traum erschüttert mich, immer wieder fällt er mir ein. Was bringt er zum Ausdruck?

Die Selbstverständlichkeit mit der wir alle eingebunden sind in diesen Kreislauf von Leben und Sterben? Drückt er ein Schuldgefühl aus darüber dass wir hier Tiere schlachten – an demselben Ort, wo wir diese Wesen in ihrer Lebendigkeit erleben? Die Schweine – man kann im Vorbeigehen sehen, wie sie sich im Schlaf aneinander kuscheln oder um das Futter raufen, die Hühner, die morgens aus ihren mobilen Ställen in die Wiese und in das Gestrüpp springen. Wir erleben die Tiere als empfindsame Wesen, die Bedürfnisse haben und offensichtlich Freude und Schmerz empfinden. Als Lebewesen, die einem in die Augen blicken – und dieser Blick zeugt von einer rätselhaften Nähe oder Verwandtschaft.

„Nur der ist ein guter Metzger, der die Tiere liebt“

Ist es nicht ein grausamer Widerspruch, Tiere gleichzeitig zu lieben und sie zu töten? Der Satz: “Nur der ist ein guter Metzger, der die Tiere liebt”, stand lange Zeit am Eingang zu unserem Schlachthaus auf einem großen Kühlcontainer. Viele sind irritiert über diesen Satz. Lieben? Man müsste schreiben achten, ja, die Tiere achten. Die Diskussionen um diesen Satz waren oft heftig. Kann man lieben, was man tötet? Ist das nicht zynisch? Absurd? Ja, so scheint es. Trotzdem drückt er eine Erfahrung aus, die man haben kann, wenn man intensiv mit Tieren zusammenlebt, Verantwortung für sie trägt, und gleichzeitig weiß, dass diese nur darum leben, weil wir sie als Menschen halten, um uns von ihnen zu ernähren.

Das Töten und Achten der Tiere müssen zusammengehören

Fleisch und Wurst sind heute in aller Regel das Produkt eines Agro-Industriellen Systems. Tiere sind in diesem System zu keinem Zeitpunkt etwas anderes als technische Güter, wie Kühlschränke oder Elektromotoren. 20.000 Schweine werden heute pro Tag in einem modernen Schlachtbetrieb geschlachtet – hygienisch sauber, exakt getaktet. Wer so viel Geist besitzt, sich das Fleisch und die Wurst, die er sich täglich aus den Theken unserer Supermärkte greift, als lebendige Tiere vorzustellen, sieht Schweine in Tierfabriken, in denen es keinen Schweinsgalopp gibt. Tier und Mensch haben in diesem System nichts zu lachen. Diese Tiere werden getötet und zu keinem Zeitpunkt als empfindsame lebendige Wesen um ihrer selbst willen geachtet. Das Töten und Achten der Tiere müssen – so meine Überzeugung – zusammengehören, wenn wir das, was uns Menschen als Menschen ausmacht, nicht gänzlich ignorieren wollen.

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Foto: © PPAMPictures/iStock.com


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