Versöhnung  

Spaltung überwinden, Begegnung wagen

Wie Versöhnung und Miteinander auch in Krisenzeiten gelingen – ein Interview mit Anselm Grün

Die letzten Jahre haben deutliche Spuren im gesellschaftlichen Zusammenhalt und Miteinander hinterlassen. Für Pater Anselm Grün führt nur ein Weg zurück zu mehr Zusammenhalt: Versöhnung. Doch wie kann dies gelingen? Darüber haben wir mit ihm gesprochen.

Was hat Sie dazu inspiriert, ein Buch zum Thema Versöhnung zu schreiben?

Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft hat mich bewogen, über dieses Thema zu schreiben. Außerdem viele persönliche Gespräche, in denen mir bewusst wurde, wie viele Menschen sich schwertun mit Versöhnung.

Wann haben Sie sich das letzte Mal mit jemandem versöhnt? Mit wem und warum?

Ich war nie so unversöhnt, dass ich mich versöhnen musste.

Ist es Ihnen auch schon einmal nicht gelungen, sich mit jemandem zu versöhnen?

Nein.

Konfuzius hat gesagt: „Es schadet einem nicht, wenn einem Unrecht geschieht. Man muss es nur vergessen können.“ – Ist das der Weg zur Versöhnung?

Es ist ein möglicher Weg, die Verletzung zu vergessen. Doch manchmal kann man sie nicht vergessen. Dann ist es wichtig, mich mit dem, der mich verletzt hat, zu versöhnen.

Muss ich mich nicht zuerst einmal mit mir selbst versöhnen, bevor ich mich mit anderen versöhnen kann?

Ja, ich muss mich zuerst mit mir selbst versöhnen, mit meiner Lebensgeschichte, mit meinen Verletzungen, mit meinem Leib und mit meinen Schattenseiten. Nur wenn ich mit mir versöhnt bin, bin ich fähig mich mit andern zu versöhnen.

Reicht Verzeihen schon oder anders gefragt: ist Verzeihen gleich Versöhnung?

Verzeihen und Vergeben kann ich allein. Vergeben heißt: die Verletzung weggeben, sie beim andern lassen. Zur Versöhnung braucht es immer zwei. Ich versöhne mich mit dem, der mich verletzt hat. Die Vergebung geschieht in mir allein. Die Versöhnung bezieht sich immer auf die Beziehung zum andern.

Und wie mache ich das am besten?

Verzeihen ist die Voraussetzung für die Versöhnung. Versöhnung geschieht durch ein Gespräch. Ich spreche mit dem andern, ohne ihm Vorwürfe zu machen, sondern mit der Bereitschaft, mit dem andern wieder in eine gute Beziehung zu kommen.

Ist Versöhnung das Allheilmittel oder gibt es auch Grenzen der Versöhnung?

Es gibt auch Grenzen der Versöhnung. Es gibt den Grundsatz, dass die Täter nicht über ihre Opfer triumphieren dürfen. Wenn der Täter die Schuld nicht einsieht, ist Versöhnung nicht möglich.

Haben Sie eine Empfehlung, wie man mit Verletzungen umgeht? Gar nicht so die großen, gesellschaftlichen, sondern die, die wir im Alltag, in der Familie oder im Beruf erleiden?

Es gibt fünf Schritte, wie die Verletzungen heilen können. 1. Die Verletzung nicht überspringen, sondern den Schmerz darüber wahrnehmen. 2. Ich brauche die Wut, um mich von dem, der mich verletzt hat, zu distanzieren. 3. Verstehen, was abgelaufen ist. 4. Vergeben heißt: sich befreien von der Macht des andern. Denn wenn ich nicht vergeben kann, bin ich immer noch an ihn gebunden. Die Verletzung beim andern lassen. 5. Die Wunden in Perlen verwandeln (Hildegard von Bingen). Die Verletzung hat mich aufgebrochen, sodass ich mein wahres Selbst erkennen kann.

Interview: Dr. Anette Konrad

Interview Grün Sinn und Gesellschaft

Lesetipp

Pater Anselm Grün hat zu diesem Thema ein Buch geschrieben: Zeit für Versöhnung. Spaltung überwinden, Begegnung wagen.

 Die Grundvoraussetzung für Versöhnung ist der Versuch, einander zu verstehen. Doch das wechselseitige Verstehen fällt häufig schwer.

Anselm Grün kennt diese Situation aus vielen Gesprächen und Vorträgen. In seinem neuen Buch fragt er daher: Wie schaffen wir es, wieder mehr Zusammenhalt zu leben? Wie kann Versöhnung gelingen? Heißt versöhnen vergessen? Gibt es Grenzen der Versöhnung? Und was tun, wenn Wunden trotz allem nicht heilen? Darüber schreibt Anselm Grün in diesem Buch und zeigt, dass Spaltung kein Schicksal ist, sondern Versöhnung möglich und nötig ist.

Verlag Herder
1. Auflage 2023
Gebunden mit Schutzumschlag
160 Seiten
ISBN: 978-3-451-39488-1


Portraitfoto: © Sarah Hornschuh / Verlag Herder


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