Nachhaltigkeit  

Sag, wie hast du’s mit dem Schnitzel?

Warum wir eine Agrar- und Ernährungswende brauchen

Wie sich die Zeiten doch ändern! In Goethes Faust stellt das junge Gretchen ihrem neuen Freund gleich zu Beginn die später sprichwörtlich gewordene Gretchenfrage: „Sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Faust antwortet ausweichend, das Thema ist ihm unangenehm, er versucht Gretchen klarzumachen, dass er auch ohne religiöse Praxis ein guter Mensch sein kann. Heute, ein paar Generationen später, würden wir uns fast schämen, einen neuen Bekannten so direkt nach seinem persönlichen Glauben zu fragen.

Die Gretchen-, oder besser Greta-Frage unserer Zeit ist eine andere. Sie ist häufig mit ebenso vielen Wert- und Vorurteilen verbunden wie damals: „Vegetarisch oder Fleisch?“ Und tatsächlich hat unsere Ernährung einen weit größeren Einfluss auf unser Wohlbefinden, auf unser Selbstbild und auf unsere Umwelt als wir gemeinhin denken.

Vor kurzem hat sich die Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz in einer Studie mit der Frage beschäftigt, wie der Kampf gegen den Klimawandel gewonnen werden kann – und das auf eine für Mensch und Natur möglichst (art)gerechte Weise. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Ernährungs- und Agrarwende: Obwohl wir ein hochentwickeltes Industrieland sind, wird rund die Hälfte der bundesdeutschen Fläche landwirtschaftlich genutzt. Unsere Ernährungsvorlieben und Einkaufsgewohnheiten bestimmen maßgeblich, wie unser Land aussieht: Ist es ein buntes Mosaik unterschiedlicher und vielfältiger Lebensräume oder eine auf Billig-Preise ausgerichtete Produktionswüste? Gibt es genug Flächen, in denen die zunehmenden Regenfälle langsam versickern können und erlauben wir, dass die Moore wieder zunehmen, die vielmehr Kohlendioxid speichern können als die modernsten Filter- und Abscheidetechnologien es vermögen?

Viehwirtschaft
Luftaufnahme einer Viehfarm in Brasilien

Auswirkungen unserer “fleischlichen Gelüste”

Im weltweiten Maßstab wird es noch deutlicher: Mehr als 2 Milliarden von insgesamt 7,8 Milliarden Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft und haben den Großteil ihrer Nachbarschaft in entsprechende Produktionsstätten verwandelt. Vor allem der zunehmende Fleischkonsum stellt dabei eine enorme Belastung für unseren Planeten dar – und er wächst deutlich schneller als die Weltbevölkerung. Heute schon ist die Gesamtmasse an Menschen und ihren Nutztieren mehr als zwanzigmal so hoch wie die Maße der verbliebenen freilebenden Säugetiere – und die UN-Welternährungsorganisation befürchtet, dass die Fleischproduktion bis 2050 um bis zu 55 Prozent weiterwachsen wird.

Doch nicht nur unsere Mitgeschöpfe leiden unter unseren „fleischlichen Gelüsten“: Wissenschaftler weisen seit langem darauf hin, dass viele der Nahrungsmittel, deren Produktion unsere Umwelt besonders belasten und die zu den höchsten Treibhausemissionen beitragen (wie etwa Rind- und Schweinefleisch) auch für die menschliche Gesundheit am gefährlichsten sind.

Webtalk-Reihe „Lebensmittel als Mittel zum guten Leben“

Ernährung

Das Ludwigshafener Heinrich-Pesch-Haus greift das Thema der Agrar- und Ernährungswende in einer vierteiligen WebTalk-Reihe mit dem Titel „Lebensmittel als Mittel zum guten Leben“ auf. Los geht es am 29. September 2021 mit dem Agrar-Experten Konstantinos Tsilimekis von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation GERMANWATCH. Er wird erläutern, warum Lebensmittelproduktion und Ernährung umwelt-, klima- und gesundheitspolitisch so bedeutsam sind.

Ein gesundes Maß ist wichtig

Gleichzeitig warnen die Mitglieder der Sachverständigengruppe aber vor einseitigen Schuldzuweisungen und Extremlösungen: Die Frage „vegetarisch oder nicht“ darf nicht zur neuen Glaubensfrage erhoben werden, vielmehr geht es darum, als Gesamtgesellschaft zu einem „gesunden Maß“ zu finden. Es geht nicht um eine rückwärtsgewandte „Agrarwende“, sondern um eine zukunftsfähige „sozial-ökologische Transformation“ aller Lebensbereiche, damit Landwirt*innen und Verbraucher*innen, Nutztiere und Wildtiere tatsächlich „miteinander leben können“. Neben einer stärkeren Regulierung (vor allem auch in der großindustriellen Fleischverarbeitung mit ihren Dumpinglöhnen), fairen Preisen und mehr Transparenz in der Lebensmittelbranche braucht es aber auch mehr internationale Zusammenarbeit und ein höheres Verantwortungsbewusstsein der Verbraucher.

Digi-log: Machen Sie mit!

Da dieser Bewusstseinswandel nicht von oben verordnet werden kann, sondern am besten im gemeinsamen Austausch gelingt, haben die Expert*innen ihre Empfehlungen auf einer Website veröffentlicht, die zur weiteren Diskussion einladen soll. Unter www.digi-log.org ist die Studie für alle Interessierten einsehbar, die beteiligten Expert*innen wollen dort regelmäßig auf Rückmeldungen eingehen. Auch Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Fragen oder Kommentare einzubringen!

Vielleicht hat jede Zeit ihre eigene „Gretchenfrage“; viele unserer Großeltern mussten sich von ihren Kindern und Enkeln fragen lassen, was sie während dem Krieg gemacht haben und ob sie sich genügend für Recht und Menschlichkeit eingesetzt haben. Vielleicht ist die Gretchenfrage unserer Generation ja „Sag, wie hast Du’s mit dem Klimawandel?“ Und so wie Faust zögere ich, sie ehrlich zu beantworten.

Fotos: © t-lorien/iStock.com, © Paralaxis/iStock.com


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