Versöhnung  

Reduktion auf das Wesentliche

Was bewirkt Corona bei Menschen?

Seit dem Frühjahr ist Corona in der deutschen Gesellschaft angekommen und bestimmt unseren Alltag. An die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, an Botschaften wie „AHA“ und Einschränkungen haben wir uns gewöhnt – oder doch noch nicht? Welche Widerstände kommen hoch bei den Beschränkungen im Alltag und dem gefühlten Freiheitsverlust? Was löst Corona bei Menschen aus? Denn im Denken, Fühlen, Handeln gestaltet sich unser Leben.

Angst vor Kontrollverlust

Viele Menschen haben – ob bewusst oder unbewusst – ein Bedürfnis nach Kontrolle. Sie erleben: Kontrolle zu haben, das gibt Sicherheit und Stabilität. In Zeiten der Corona-Pandemie ist es jedoch eine Illusion, alles im Griff zu haben: es gelingt nicht, das Verhalten anderer Menschen zu überwachen in der Regeleinhaltung bzw. wie sie mit Nähe und Distanz umgehen. Soll ich einschreiten, wenn der Mann vor mir in der Bahn seinen erforderlichen Mund-Nasen-Schutz nur über dem Mund trägt?

Menschen sind folglich in der Lage, sich gegen soziale Normen und Regeln zur Wehr zu setzen, auch gegenüber dem Staat als Ordnungsmacht mit seinen unterschiedlichen Sanktionsgraden und Strafen. Wenn die Corona-Warn-App „eine Begegnung mit niedrigem Risiko“ anzeigt; dann stellen sich Fragen: Wer, wann und wo könnte das gewesen sein?

Angst äußert sich oftmals als „sich beeinträchtigt bis bedroht zu fühlen. Sie ist gekennzeichnet von Vermeidungstendenzen wie Abwehr, Flucht oder Aggression. Die Kontrolle zu haben ist also so etwas wie der Versuch, Gestaltungsbereiche zu regulieren. Umso drängender stellt sich also die Frage: Wie gelingt es, mit der Angst vor Kontrollverlust zurecht zu kommen bzw. sie zu bewältigen?

Entzug von Konsum

Shoppen ist für mich eine Freizeitbeschäftigung, bei der ich entspannen kann und die gesellschaftliche akzeptiert und wirtschaftlich erwünscht ist. Wie war das im Frühjahr, als dies bis auf das Lebensnotwendige untersagt war? Weggehen, Restaurantbesuche oder Mannschaftssport zählen zu den beliebtesten Privatvergnügen. Nun fallen Weihnachtsmärkte aus, es gibt keine großen Feiern, keine Musikevents … das geht manchen Menschen nicht nur an die finanzielle Substanz, sondern auch an die psychische.

Konsumieren gehört zu unserem modernen Lebensstil. Die Maßnahmen, um die Fallzahlen zu senken, entziehen uns diese Möglichkeiten wieder. Corona setzt Grenzen. Ich erlebe diese Grenze als Chance zum Bewusstwerden, um mich zu hinterfragen: Wie abhängig bin ich tatsächlich vom Konsumieren? Wenn ich ehrlich bin: Welche Art Entzugssymptome nehme ich bei mir wahr? Welche Alternativen entwickle ich? Was erfüllt mich wirklich?

Entwöhnung von Gewohnheiten

Derzeit können wir nicht allen Freizeitbeschäftigungen nachgehen, wir sollen möglichst zuhause bleiben und keine Freunde treffen. Ich merke selbst: All das verursacht Druck bei mir und bei anderen, manchmal zeigen sich Stresssymptome oder sogar aggressive Handlungen. Ich versuche das zu vermeiden, aber das ist nicht immer leicht.

Es ist ungewöhnlich, Freunde und Verwandte nicht zu umarmen und zu besuchen, Menschen zum Trost nicht zu berühren, ein Musikfestival nicht gemeinsam vor der Bühne zu erleben oder nicht im Bierzelt zu schunkeln.

Maske Corona Psychologie

Es ist herausfordernd, den Willen aufzubringen, das Vermissen von Vertrautem zu erkennen und im Ungewöhnlichen eine Chance zu entfalten. Oft wollen Menschen nichts anderes sehen und erleben als das, was sie schon immer gesehen und erlebt haben. Das Wesentliche zum “Wachwerden“ ist aus meiner Sicht die Bereitschaft, zu reflektieren, etwas Neues zu lernen und den Raum zu öffnen, Unvertrautes zu erfahren. Was ist das, wovor ich mich fürchte: der Verlust des Bekannten, wovon ich mich abhängig fühle oder das Erkennen, was mir so lebensnotwendig erscheint?

Konzentration auf das Wesentliche

Dies lenkt den Blick auf die zentrale Frage: was ist wesentlich in meinem Leben? 

Im Kontakt sein: Menschen merken persönlich, in Gesprächen mit Freundinnen oder am Arbeitsplatz und auch die Medien sind voll davon: wir sind soziale Wesen und brauchen die Kontakte. Verbundenheit ist wie ein Lebenselixier. Können das soziale Medien kompensieren? Wieviel Kreativität haben Menschen dabei entfaltet: Balkonkonzerte, regelmäßige Päckchen für Kinder mit Geschichten und Bastelmaterial und vieles mehr.  

Nächstenliebe: Wir erleben das Dilemma: Der Mensch braucht den Menschen. Und doch wird er aufgrund des Virus zum potentiellen Risiko.  Nächstenliebe kann vielfältig gelebt werden: sich schützen, um andere zu schützen. Wege zu finden, um andere zu unterstützen. Das haben wir mit „Mahlze!t LU“ angefangen, und unser Aufruf zur praktischen Unterstützung bedürftiger und armer Menschen fand eine hohe Resonanz.

Begegnung mit dem, was gerne verdrängt und im Alltag des Gewohnten vergessen wird.  Die Begegnung mit sich.  Und die Antwort auf die herausfordernde Frage: „Wer“ sind wir füreinander?

In der eigenen Mitte sein

In dieser turbulenten Zeit von erhöhten Fallzahlen, Sorge vor Ansteckung, oftmals seltsamen Verhalten von Menschen ist für mich zentral: In der eigenen Mitte sein.

Ich versuche, die Angst nicht zu verdrängen, sie aber auch nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, sondern bewusst ins Vertrauen zu gehen. Still bleiben und nicht reagieren, wenn Menschen seltsam wirken oder handeln. Abwarten, bis sich Dinge von allein ordnen. Dann das klärende Gespräch suchen.

Bereit sein, das Leben zu teilen, so wie es ist. 

Fotos: © elmue/photocase.com, © Rike/iStock.com


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