Nachhaltigkeit  

3 Grad mehr

Was 3 Grad mehr für unser Klima und Wetter bedeuten

Stefan Rahmstorf ist einer der renommiertesten Klimaforscher und Ozeanographen und forscht zur Klimakrise. Er beschreibt in einem Artikel für das von Klaus Wiegandt herausgegebene Buch »3 Grad mehr«, wie eine Welt aussieht, wenn die Erderwärmung nicht gestoppt werden kann. Wir bringen hier einen Auszug aus seinem Artikel.

Was bedeuten 3 Grad globale Erwärmung für uns? Bislang sind wir laut Weltklimarat bei 1,1 Grad Erwärmung angelangt, relativ zum späten 19. Jahrhundert (das in diesem Beitrag generell als Basisperiode verwendet wird, weil es auch die Basis für das Paris-Ziel von 1,5 Grad ist).

Bereits heute sehen wir viele negative Folgen. Drei Grad Erwärmung wären fast das 3-Fache. Die Folgen wären allerdings erheblich schlimmer als nur das 3-Fache der bisherigen Auswirkungen, wie wir in diesem Beitrag sehen werden.

Eine nützliche Perspektive auf eine Erwärmung um 3 Grad liefert die Erdgeschichte. Man muss nach heutiger Kenntnis rund drei Millionen Jahre zurückgehen, bis ins Pliozän, um eine ähnlich hohe globale Temperatur zu finden. Das deutet schon darauf hin, dass große Teile der heutigen Biosphäre nicht evolutionär an eine derart warme Erde angepasst sind. Viele Arten würden sie nicht überleben. Im Pliozän lebten unsere Vorfahren, die Australopitheci, noch teils auf Bäumen.

3 Folgerungen aus der Erdgeschichte

Der globale Temperaturverlauf der letzten 20.000 Jahre seit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit lässt sich dank zahlreicher Sediment- und Eisbohrkerne inzwischen recht genau rekonstruieren. Es zeigen sich drei wichtige Dinge: (1) Schon die heutigen Temperaturen übersteigen den Erfahrungsbereich des Holozäns und damit der gesamten Zivilisationsgeschichte des Menschen, seit er die Landwirtschaft entwickelte und sesshaft wurde.
(2) Die moderne globale Erwärmung ist etwa zehn Mal schneller als die natürliche Erwärmung von der
Eiszeit ins Holozän, was eine Anpassung massiv erschwert. (3) Die moderne Erwärmung wird zehntausende Jahre anhalten – es sei denn, es gelingt, aktiv gigantische Mengen an Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre herauszuholen.

Modellsimulationen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), mit denen die Eiszeitzyklen der letzten drei Millionen Jahre (angetrieben von den bekannten Milankovich-Erdbahnzyklen) korrekt wiedergegeben werden, zeigen: Schon jetzt haben wir der Atmosphäre wahrscheinlich genug CO2 hinzugefügt, um damit die ansonsten in 50.000 Jahren fällige nächste Eiszeit zu verhindern. Heizen wir die Erde gar um 3 Grad auf, werden wohl die natürlichen Eiszeitzyklen der nächsten halben Million Jahre ausbleiben. Einige wenige Menschengenerationen verändern unseren Planeten Erde massiv und für lange geologische Zeiträume.

In Deutschland sind wir inzwischen schon bei rund 2,3 Grad Erwärmung angelangt. Weil Deutschland ein Landgebiet ist, ist das auch nicht weiter überraschend, denn viele Landgebiete erwärmen sich etwa doppelt so rasch wie der globale Mittelwert, der zu 70 Prozent aus Meerestemperaturen gebildet wird. Die mittlere Erwärmung aller Landgebiete lag 2020 bei 2,0 Grad Celsius.

Bei 3 Grad globaler Erwärmung sind bei uns also rund 6 Grad Erwärmung zu erwarten. Sechs Grad Celsius im Jahresmittel – das ist sehr viel. Damit wäre Berlin wärmer als es Madrid heute ist.

Und während manch einer dabei vielleicht von mediterranen Verhältnissen träumt, wird dieses völlig neue Klima den Landwirten und der heimischen Tier- und Pflanzenwelt überhaupt nicht gefallen. Schon die vergangenen drei trockenen Hitzesommer seit 2018 haben zu einem gravierenden
Waldsterben geführt. […]

Erderwärmung 3 Grad

Meeresspiegel und Eisschilde

Auch in Sachen Meeresspiegel hilft die Perspektive der Erdgeschichte. Im Pliozän vor drei Millionen Jahren war der Meeresspiegel zwischen 5 und 25 Meter höher als heute, weil es viel weniger Eis auf den Kontinenten gab. Umgekehrt war der Meeresspiegel auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren 120 Meter niedriger als heute. Die derzeit vorhandenen Kontinentaleismassen, vor allem in der Antarktis und Grönland, sind derart groß, dass sie genug Wasser für 65 Meter globalen Meeresspiegelanstieg liefern können.

Unsere Australopitheci-Vorfahren im Pliozän dürfte der höhere Meeresspiegel wohl kaum gestört haben. Doch an den gegenwärtigen Küstenlinien unseres Planeten liegen mehr als 130 Millionenstädte, dazu andere Infrastrukturen wie Häfen, Flughäfen und rund 200 Kernkraftwerke mit Meerwasserkühlung (wie
Sizewell B an der britischen Nordseeküste). Schon ein Meter Meeresanstieg wäre eine Katastrophe. Bislang beträgt der Anstieg seit dem späten 19. Jahrhundert rund 20 Zentimeter, was an manchen Küsten bereits Probleme verursacht. Nicht nur während Sturmfluten, sondern sogar im Rahmen der normalen Gezeitenzyklen,
durch die zum Beispiel in Städten an der Ostküste der USA gelegentlich Straßen unter Wasser stehen, was man dort „nuisance flooding“ nennt – kein Desaster, aber lästig.

Beim Meeresspiegelanstieg sieht es so aus, dass die Geschwindigkeit des Anstiegs (zumindest bislang) annähernd proportional zum Temperaturanstieg zunimmt. Das heißt, nach 3 Grad Erwärmung dürfte der Meeresspiegel grob geschätzt etwa dreimal so schnell steigen wie heute.

Das liegt unter anderem daran, dass die Kontinentaleismassen umso schneller schmelzen, je wärmer es wird. Der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt sich bereits – das ist nicht nur in den langen Datenreihen der Hafenpegel sichtbar, sondern inzwischen sogar innerhalb der erst seit 1993 laufenden Satellitenmessungen.

Allerdings gibt es auch hier komplexere Effekte, die dieser einfachen Logik noch eins draufsetzen. Denn Eis schmilzt nicht einfach nur an der Oberfläche, es rutscht auch ins Meer, oder besser: es fließt wie ein zäher langsamer Fluss. Gelangt Schmelzwasser unter das Eis, verringert dies die Bodenreibung und das Eis fließt rascher. Entsprechend steigt auch der Meeresspiegel noch schneller an. In der Antarktis verschwinden außerdem nach und nach die auf dem Meer schwimmenden Eisschelfe, die den Auslassgletschern vorgelagert sind, weil sie im wärmeren Meerwasser von unten abschmelzen. Die Eisschelfe wiederum bremsen das Nachfließen von weiterem Kontinentaleis, sodass sich nach ihrem Verschwinden die Eisströme ins Meer beschleunigen.

Und es wird noch komplizierter: Das Kontinentaleis hat Kipppunkte.

Ein Kipppunkt ist der Punkt, an dem die weitere Entwicklung in einen grundlegend anderen Zustand zum unaufhaltsamen Selbstläufer wird, angetrieben durch selbstverstärkende Rückkopplungseffekte. Der Eispanzer auf Grönland hat einen solchen Kipppunkt, ab dem er komplett abschmelzen wird. Die verstärkende Rückkopplung besteht darin, dass die Oberfläche des rund 3.000 Meter dicken Eisschilds automatisch in immer tiefere und damit wärmere Luftschichten gelangt, je mehr die Eisdicke abnimmt. Daher wird ab einem bestimmten Punkt das Eis komplett abschmelzen, auch ohne weitere Erderwärmung. Im Endergebnis wird der globale Meeresspiegel durch den Verlust des Grönlandeises um 7 Meter ansteigen. Dieser Kipppunkt liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen 1 und 3 Grad globaler Erwärmung. […]

Fazit

Ohne sofortige, entschiedene Klimaschutzmaßnahmen könnten bereits meine Kinder, die derzeit das Gymnasium besuchen, eine 3 Grad wärmere Erde erleben. Niemand kann genau sagen, wie diese Welt aussehen würde – zu weit wäre sie außerhalb der gesamten Erfahrung der Menschheitsgeschichte. Doch ziemlich sicher wäre diese Erde voller Schrecken für die Menschen, die sie erleben müssten. Wetterchaos mit tödlichen Hitzewellen, verheerenden Monsterstürmen und anhaltenden verbreiteten Dürren, die weltweite Hungerkrisen auslösen könnten. Steigende Meeresspiegel, die unsere Küsten verwüsten. Umkippende Ökosysteme, verheerendes Artensterben, brennende und verdorrende Wälder, versauerte Ozeane. Failed States, riesige Menschenzahlen auf der Flucht.

Das klingt finster und dystopisch und es fällt mir schwer, das zu schreiben, während ich an meine Kinder denke. Aber es ist wahrscheinlich. Das meiste wurde schon lange vorhergesagt und ist in für die Betroffenen durchaus nicht harmlosen Anfängen längst zu beobachten.

Man muss nur nüchtern der Tatsache ins Auge blicken, dass die geschilderten Verhältnisse in einer 3-Grad-Welt höchstwahrscheinlich nicht „nur“ drei Mal schlimmer als in einer 1-Grad-Welt sein werden, wofür die nicht linearen Effekte und die Kipppunkte sorgen werden.

Ich bin nicht sicher, ob das halbwegs zivilisierte Zusammenleben der Menschen, wie wir es kennen, unter diesen Bedingungen noch Bestand haben wird. Ich persönlich halte eine 3-Grad-Welt für eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation.

Was Hoffnung macht, ist, dass diese 3-Grad-Welt kein unvermeidliches Schicksal ist. Noch ist es sogar möglich, die Erwärmung auf nahe der 1,5-Grad-Marke zu begrenzen – was 2015 in Paris von allen Ländern einstimmig beschlossen wurde und wozu hierzulande fast alle Politiker Lippenbekenntnisse abgeben. Die weltweite Klimapolitik macht durchaus Fortschritte: Mit den beim Klimagipfel in Glasgow angekündigten Maßnahmen rückt die Begrenzung auf 2 Grad in Reichweite, wenn diese Maßnahmen nicht nur versprochen, sondern konsequent umgesetzt werden. Doch die Begrenzung auf 2 Grad reicht nicht aus. Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, muss die Welt endlich in den ernsthaften Krisenmodus schalten, wie die jungen Menschen von Fridays for Future völlig zu Recht einfordern. Klimaschutz muss dazu die höchste Priorität bekommen.

Textauszug aus: Klaus Wiegandt (Hrsg.): 3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern
© oekoem Verlag GmbH, München, 2. Auflage 2022 – www.oekom.de

Fotos: Headerbild ©: bestdesigns/iStock.com; © Durk Talsma/iStock.com

»3 Grad mehr«

Wiegandt Rahmstorf 3 Grad mehr

Der Text ist ein Auszug aus dem 2022 erschienen Buch „3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern“ und ist im oekom-Verlag erschienen. Stefan Rahmstorf ist der Autor des abgedruckten Artikels „Klima und Wetter bei 3 Grad mehr. Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen)“.

Rahmstorf ist international renommierter Klimaforscher und hält an der Universität Potsdam die Professur für Physik der Ozeane. Im Fokus seiner wissenschaftlichen Arbeit liegen unter anderem Veränderungen des Meeresspiegels in der Vergangenheit und die Zusammenhänge zwischen Extremwetter und Klimawandel.


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