Sinn  

Pisa – Zeit, sich ehrlich zu machen

Was es jetzt braucht, damit Bildung wieder funktioniert

Im Kern sind die Antworten seit Jahren die Gleichen. Auch die Langsamen könnten sie inzwischen an einer Hand herunterbeten: Die Schulen leiden an einer unguten Mischung von Überregulierung, Unterfinanzierung und fehlender personeller Ausstattung. Wo immer wir mit dem Zentrum für Ignatianische Pädagogik in Deutschland in Schulen unterwegs sind: Lehrende und Schülerschaft fühlen sich gehetzt in einem Schulalltag mit überbordender Prüferitis, Bürokratie und einer zu dünnen Personaldecke.

Den Schulen wird vorgehalten, sie täten zu wenig auf dem Feld der Digitalisierung. Aber versuchen Sie einmal als einzelne Lehrkraft, 25 jungen Leuten mit sehr unterschiedlichen Vor- und Sprachkenntnissen und einem ihnen zugeteilten Passwort gleichzeitig zu helfen, sich in ein ihnen unbekanntes Sprachdiagnoseprogramm einzuloggen. Bis alle im Programm sind, ist die Stunde um, während die eine Hälfte der Klasse sich zu Tode gelangweilt hat und die andere Hälfte immer noch ratlos ist. Und gelernt wurde noch nichts!

Das tote Pferd der Verbeamtung

Lehrkräfte in diesem Lande betreuen Schulbibliotheken, wo es sie noch gibt. Sie halten das IT-System am Laufen, wenn es W-LAN gibt. Und sie vertreten ihre kranken Kolleginnen und Kollegen, die an Schulen, die bereits mit nur 60 % Deckung des Personalstandes ins Schuljahr gestartet sind, jedenfalls so lange, bis sie selbst krank werden.

Die Verbeamtung, das tote Pferd, das die Länder einsetzten, um im Rennen um Personal Boden gegenüber konkurrierenden Ländern und Freien Trägern gutzumachen, bringt am Ende keinem Beteiligten wirklich etwas. Das Berufsbild wird nicht besser.

Der Krankenstand unter verbeamteten Lehrkräften ist – vor allem im Alter – noch höher. Und die Verbeamtung spült den Lehrenden zwar mehr Geld in den Beutel, ändert aber nichts an jenen Problemen im Alltag, die auch die Besten langfristig zermürben.

Natürlich gibt es noch die Oasen: Schulen, die sich ihre Schülerschaft weitgehend aussuchen können, beliebt bei Lehrenden und Eltern. Eine Art gated Bildungscommunity. Aber auch mit ihnen macht die Situation etwas. Druck auf die Eltern, dass die Kinder nur ja in diesem Bildungsparadies bleiben dürfen, Bildungsparadiese, die sich im Näherkommen als trügerische Fata-Morgana entpuppen, wo der Schein besser ist als das reale Leben: Denn natürlich zieht die Flucht aus einer schwierigen Realität nicht unbedingt die besten Lehrenden an. Und die fehlenden Kompetenzen bekommen dann die Kinder ab.

Kein neuer Befund

Nein, nichts an dem Befund ist neu. Corona und eine wachsende Zahl von Schülern, die nicht Deutsch sprechen, erschweren das Problem. Aber sie sind weit davon entfernt, Kern der Ursache zu sein. Und dieser Befund unterscheidet sich auch gar nicht so sehr von anderen Krisenfeldern der Gesellschaft: Infrastruktur, Bahn und Brücken – kaputt gespart. Deutschland, die Lachnummer der Nachbarn. Die Bundeswehr, nicht einsatzbereit nach 20 Jahren Sparen. Und immer wieder die Ursache: staatliche Regulierungswut, fehlendes Geld oder Geld an der falschen Stelle, fehlendes Personal, fehlende Weitsicht und fehlende Investitionen in die Zukunft. Liegt es an der Komplexität der Probleme?

Nun, wie viele Schüler in fünf Jahren eingeschult werden, kann selbst ein Berufseinsteiger am Geburtsregister studieren. Aber Bildung ist Ländersache – bedauerlicherweise, muss man inzwischen sagen. Und auch finanzstarke Länder wie Bayern fischen lieber bei den Nachbarn, inzwischen in Österreich, wie man hört, statt eigene Konzepte zu hinterfragen und neue Lösungen zu suchen. So nach dem Motto: „Es wird zwar alles schlechter. Aber wir sind ja immer noch die Besten von den Schlechten!“

Ein anderer Blick auf Schulbildung, mehr Förderung und weniger Selektion, neue Berufsbilder und Teamarbeit an den Schulen … Das wird ein Bundesland alleine nicht stemmen! Aber mehr Abstimmung über Länder- und damit Parteiengrenzen hinweg? Da bräuchte es ja einen neuen Politikstil und eventuell das Eingeständnis, dass der Föderalismus bei diesem Mammutprojekt an seine Grenzen kommt!

Gute Bildung beruht auf Beziehungsarbeit

Praktiker und Wissenschaft stimmen in einem zentralen Punkt überein: Gute Bildung beruht wesentlich auf Beziehungsarbeit. Dafür braucht es ausreichend Lehrkräfte, die Zeit für ihre Schülerinnen und Schüler haben. Damit das gelingt, braucht es mehr multiprofessionelle Teams zur Entlastung von Lehrkräften, mehr Coaching und Begleitung und weniger Bürokratie.

Hinter Pisa steckt zwar eine Vorstellung von Schulbildung, die man nicht teilen muss. Aber was Pisa eben doch zeigt:

Wo Lehrende in Schulen die zentrale Beziehungsarbeit nicht mehr leisten können, die die Grundlage für alles andere ist, da werden auch alle anderen, messbaren Ergebnisse schlecht.

Und was jetzt? Es wäre gut, einen Moment Besinnung einzulegen und einen größeren Kontext herzustellen, in dem gerade das hohe Lied des Sparens und der Schuldenbremse im Namen der kommenden Generation gesungen wird, deren Zukunftschancen zeitgleich aufs Spiel gesetzt werden. Denn nun sind ja derzeit wieder die Sparfüchse unterwegs. Und vor allem jene unter ihnen, welche die Zerstörung der Infrastruktur dieses Landes auf zentralen Politikfeldern in den letzten 20 Jahren verantwortlich mit begleitet haben, möchte man ja fragen, wie das Sparen denn diesmal aussehen soll. Denn es reicht ja nun nicht einmal mehr so zu sparen, dass nichts kaputtgeht. Das hat bis hierher ja schon nicht geklappt! Diesmal soll, sparend, klappen, die Schulbildung zu sanieren! Wie?

Geld ist nicht alles

Nein, Geld ist sicher nicht alles. Und es ist – gerade bei Familie, Erziehung, Bildung – auch zu viel Geld mit der Gießkanne ausgegossen worden, nur um jeweils auch die eigene Klientel zu bedenken. Der Staat wird auch diesmal nicht alles alleine richten können.

Es wird eine große Anstrengung von Staat, Zivilgesellschaft und Eltern brauchen, damit die Bildung von Kindern wieder besser gelingt. Aber es wird auch substantiell mehr Geld in die Schulen fließen müssen, wenn die Zukunftschancen der kommenden Generation nicht zerstört werden sollen.

Was wir nun aber zuallererst brauchen, ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, die Bereitschaft, aus der Situation zu lernen, und über Partei- und Ländergrenzen hinweg Lösungen zu suchen. Und was wir in dieser Situation sicher nicht brauchen, sind ewig-gestrige, politische Oberlehrer, denen es nur darum geht, ihre taktischen Welt- und Feindbilder zu pflegen. Fehlendes Geld ist nur das Symptom einer Krise. Ihre Wurzeln sind politische Wurstigkeit und Ignoranz im Blick auf ein gesellschaftspolitisches Feld, das sich für politische Profilierung nicht eignet. Wer also jetzt wieder keine substantielle Idee und keine sichtbare Anstrengung zur Lösung beitragen kann: Mund halten, setzen, sechs!

Foto: © willma/photocase.com


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