Versöhnung  

Papa stirbt, Mama auch

Wie Maren Wurster in ihrem neuen Buch ohne Scheu über den Tod schreibt

Wie hat das mit der Demenz eigentlich angefangen? Wann hätte man merken müssen, dass der Vater auch ein Alkoholproblem hat? In Episoden reist das Buch an frühere Urlaube und Familienmomente und verknüpft diese Erinnerungen mit Wendepunkten in der Gegenwart. Wie die Tochter ihre eigene Mutter nur auf Distanz im Pflegeheim sehen darf – wegen Corona. Oder was es heißt, sich nicht nur um die Eltern zu kümmern, sondern auch um die eigene Tochter.

„Du hast gewartet, bis ich wieder aus dem Urlaub zurück bin und wolltest dann sterben. Das denke ich. Damit ich mich um Mama kümmern kann, damit du sie loslassen kannst.“ Man könnte meinen, wer über seine Familie und über Erinnerungen schreibt und auch zerbrechliche Momente an Krankenhausbetten schildert, wählt zur Sicherheit den Modus der Beschönigung. Aber darauf lässt sich Maren Wurster nicht ein. Vielmehr entschließt sie sich für eine radikale Offenheit und lässt an der eigenen Unsicherheit und Verwundbarkeit teilhaben. Das alles geschieht in einem sachlich-poetischer Ton, bei dem man manchmal den Eindruck hat, dass sie sich selbst beobachtet.

Aus einer inneren Notwendigkeit heraus

„Es hat mich überrascht, wie Krankheit und Abschied, aber auch Geborgenheit und Zusammenhalt über die Generationen hinweg in das Leben meiner Eltern, mein eigenes Leben und das meines Kindes hineinwirken“, formuliert Maren Wurster im Blick auf ihr Werk.

Sie macht es sich mit den Themen Vergänglichkeit und Tod nicht leicht – und mit der Veröffentlichung auch nicht: „Mir ist es schwergefallen, den Text zu ordnen und dann vor allem, ihn zu veröffentlichen. Geschrieben habe ich ihn aus einer inneren Notwendigkeit heraus, das war aufwühlend, aber nicht schwer. Ich habe mich auf meine Trauer eingelassen und beschrieben, was geschehen ist und was geschieht. Aus dieser Atmosphäre des Stillstands haben sich die Verluste und Verletzungen, die Liebe und die schönen Momente ineinander gewoben. Und dann dachte ich, dass andere Menschen sich darin mit ihren Erfahrungen und Gefühlen vielleicht wiederfinden können.“

Maren Wurster © Paula Winkler

Foto © Paula Winkler

Über die Autorin:

Maren Wurster, geboren 1976, studierte Filmwissenschaften und Philosophie in Köln und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2017 erschien ihr Roman Das Fell. Sie erhielt mehrere Stipendien, zuletzt 2019 das Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds. Mit Papa stirbt, Mama auch stand sie auf der Shortlist des Wortmeldungen-Literaturpreises 2021. Maren Wurster ist Teil des Autorinnen*kollektivs „Writing with CARE/ RAGE“. Sie lebt in Berlin und Gartow (Wendland).

„Archäologie des Verlusts“

Eindrücklich beschreibt Maren Wurster den Zustand, den man wohl am besten mit „dazwischen“ bezeichnet. Zwischen den Ärzten und den Eltern vermitteln, zwischen der Rolle als eigene Mutter und als Sorgende für den eigenen Vater und die eigene Mutter springen. Zwischen dem Entschluss, Behandlungsmaßnahmen aufzugeben oder doch einfach das Unvermeidliche hinauszögern zu wollen. Zwischen Klinik- und Pflegekräften mit ihrem professionellen Blick auf die Situation und dem eigenen, ganz individuellen Erleben – für die einen sind es Patienten, für die anderen die eigene Mutter, der eigene Vater, mit allen Erinnerungen und gemeinsamen Wurzeln. „Archäologie des Verlusts“ nennt Maren Wurster die Form, wie sie die Szenen gefunden und zusammengesetzt hat.

Als das gemeinsame Haus der Eltern aufgelöst wird, wird die Ortlosigkeit noch deutlicher – zwischen Klinikkomplexen, Intensivstationen, dem Pflegeheim, der eigenen Wohnung und den ganz normalen Verpflichtungen verlaufen nun die Schilderungen. Ist man gerade am richtigen Ort? Gibt man genug Aufmerksamkeit dem, was gerade wichtig ist? Das Buch wirft Fragen auf. Und es ging und geht mir immer noch nach.

Ist das tröstlich?

Vielleicht liegt die Antwort auf diese Frage im Wort „Respekt“. Man bekommt Respekt vor dem Tod. Nicht, weil er mit den Schilderungen an Bedrohlichkeit gewinnt, sondern weil das Buch überhaupt den Blick auf ihn richtet. Der Tod ist da, er ist unausweichlich. Allein deshalb sollten wir uns mit ihm befassen und ihn an uns heranlassen.

Papa stirbt, Mama auch

Maren Wurster
Papa stirbt, Mama auch
157 Seiten
Hanser Berlin 2021


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