Katholik:in-sein ist momentan nicht einfach
»Ist Ihr Glaube eine positive Ressource für Sie?« – seit einigen Wochen bringt mich diese Frage aus einem Tweet ins Nachdenken. Katholik:in-sein ist (momentan) nicht einfach. Die befreiende Botschaft Jesu ist überschattet und verdeckt. Schon länger als der erwähnte Tweet bringt mich ein französischer Philosoph ins Nachdenken. François Jullien schreibt viel, wird viel gelesen und übersetzt, und auch fleißig kritisiert. Durch mehrere Aufenthalte in China kam der Hellenist und Sinologie zur Philosophie. Seine Methode besteht in einer „De-Konstruktion von außen“, einem Umweg im Denken. Sein eigener Umweg führte ihn über das chinesische Denken zurück zu einem neuen Blick auf das europäische Denken
„Es gibt keine kulturelle Identität“, so lautet eine seiner Thesen, die aus diesem Umweg folgen. Kulturen seien nichts, was es zu verteidigen gilt, sondern bestünden aus „Ressourcen“. Damit meint Jullien weder Wurzeln, noch Werte oder Reichtümer.
Eine Ressource ist etwas zum Entdecken und zum Nutzen, etwas, das sich noch mehr entdeckt, indem man es nutzt.
Sprachen zum Beispiel. Ressourcen sind produktiv und nach vorne gerichtet, ergänzen sich in ihrem (manchmal gegensätzlichen) Zueinander und sind immer wieder neu zu entdecken. Es gibt sie nur im Plural.
Ressourcen erweisen sich als fruchtbar für eine Kultur und für das Denken
Jede:r hat das Recht, sich dieser Ressourcen zu bedienen, vergleichbar mit einer Open-Source-Software. Eine Ressource, die nicht aktiviert und ggf. transformiert wird, ist tot, unfruchtbar.
Jullien selbst bezeichnet sich nicht als gläubigen Christen, sondern verortet sich in einem laizistischen Umfeld. Aber er bemerkt, wie sehr das Christum sein eigenes Denken und das Denken Europas beeinflusst hat und begibt sich auf die Suche nach den Ressourcen des Christentums, vor allem im Johannes-Evangelium.
Das Projekt kann kritisiert werden und die Frage nach der Quelle (Source) gestellt werden, aber an dieser Stelle möchte ich drei anregende Aspekte hervorheben:
- Perspektivwechsel: Ein Blick von außen findet Ressourcen im Christentum, die das Denken anregen, inspirieren und interessieren. Das finde ich für die Binnenperspektive sehr spannend. Und das kann fruchtbare Gegensätze, Spannungsverhältnisse produzieren.
- Die Ressourcen gehören niemanden. Der Kirche sind das Evangelium, die Sakramente anvertraut, aber sie ist nicht deren Besitzerin. Das Konzept der Ressourcen und die Tatsache, dass sich „andere“ bedienen, erinnert an eine wichtige Voraussetzung. Es braucht nichts k(r)ampfhaft verteidigt zu werden. Das Konzept der Ressourcen könnte dazu beitragen, eine Kirche zu werden, die die Angst verliert, etwas zu verlieren.
- Das Kriterium für die Ressourcen ist die Fruchtbarkeit. Eine Ressource, die nicht mehr aktiviert wird, nicht mehr produktiv ist, aus der nichts Neues entsteht, hat für den Moment ausgedient. Das ist kein Drama, so dass sie künstlich am Leben erhalten werden müsste. Veränderungen gehören dazu.
Ressourcen neu entdecken
Juliens Außenperspektive ermutigt, die Ressourcen des Christentums (neu) zu entdecken, zu aktivieren und nicht in eine Schock- oder Verteidigungsstarre zu verfallen. Wo der Glaube positive Ressourcen aktiviert, wo er fruchtbar ist, lohnt sich der Blick, und nicht dort, wo Ressourcen lau, unfruchtbar und leere Hülsen bleiben. Vielleicht braucht es den Mut zum Lückenhaften und Unvollständigen, damit die positiven, also fruchtbaren Ressourcen des Glaubens aktiviert, entdeckt und genutzt werden können.
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