Klaus Mertes SJ Kolumne

MERTES’ MEINUNG

Manchmal fehlen einem schlicht die Worte

Über einen übergriffigen und theologisch anmaßenden Pfarrer

Eine Geschichte lässt mich seit Wochen nicht los. Ich hörte sie von einem befreundeten katholischen Priester. Ein Ehepaar war zu ihm gekommen und hatte erzählt: Seit einem Jahr seien sie standesamtlich verheiratet und wollten nun, beide katholisch, kirchlich heiraten. Der Ortspfarrer habe sie zu Hause zum Ehevorbereitungsgespräch aufgesucht. Sie hätten sich gemeinsam an den Tisch gesetzt. Der Ortspfarrer habe die beiden Eheringe an den Ringfingern des Paares erblickt und das Gespräch mit folgenden Worten eröffnet: „Bitte ziehen Sie Ihre Eheringe aus. Vor Gott sind Sie noch nicht verheiratet.“

Der befreundete Priester war genauso sprachlos wie ich, als ich von ihm diese Geschichte hörte. Unglaublich! Auf diese Idee muss man erst einmal kommen, so etwas einem jungen Paar zu sagen, das mit Vorfreude und Vertrauen den Ortspfarrer um die kirchliche Trauung bittet! Wir versuchten gemeinsam im Gespräch, die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs zu ermessen: die theologische Anmaßung, die Borniertheit, die brutale Übergriffigkeit (das auch noch als Gast in den vier Wänden des gastgebenden Paares) – und alles vermutlich in der hermetisch abgesicherten Überzeugung von sich selbst, „vor Gott“ mit solchen Sätzen auf der richtigen Seite zu sein.

Alles, was man die „systemischen“ Kontexte von Missbrauch in der katholischen Kirche nennt, kann man hier erkennen, mehr noch: Hier wir deutlich, dass die systemisch-theologischen Voraussetzungen, unter denen ein Pfarrer solche Ungeheuerlichkeiten von sich gibt, schon selbst Teil des Missbrauchs sind, und nicht nur deren Kontext.

Was kann man gegen solchen pastoralen Brutalismus tun?

Auf einen groben Klotz hilft leider manchmal nur ein grober Keil. Wenn ich den Namen des Ortspfarrers wüsste, würde ich ihn jetzt hier veröffentlichen, ihn auch  an die Kirchentüre heften und vor ihm warnen. Gegen Machtanmaßung hilft nur Gegenmacht. Aber ich kenne den Namen nicht. Als bleibt mir also nichts anders übrig, als wenigstens die Geschichte zu veröffentlichen. Das tue ich hiermit.


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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