Hirschs Meinung

Passivität hoch drei

Hat die Kirche die Hoffnung schon aufgegeben?

All jene, die sich in den vergangenen Jahren auch nur am Rande mit Kirche beschäftigt haben, werden von den gestern veröffentlichten Kirchenstatistiken kaum verwundert sein. 360.000 Katholiken haben der Kirche nun auch offiziell den Rücken gekehrt. Dabei ist schon längst klar, dass ein Großteil der Kirchenmitglieder in Deutschland sich wenig bis gar nicht mit ihrer Kirche identifizieren kann. Da kann man nur froh sein, dass die meisten noch glauben, dass sie mit ihrer Kirchensteuer etwas Gutes tun und daher „drin“ bleiben.

Und was ist der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz angesichts dieser Entwicklungen vor allem: BETROFFEN! Diese Betroffenheit mag er tatsächlich spüren. Sie ist aber gleichsam der Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Jemand, der betroffen ist, der begibt sich in eine Art „Schonhaltung“, strebt präventiv an, einen Schutzraum um sich herum aufzubauen und stellt die Forderung auf, dass die Umwelt bitte sanft mit ihm umgehen möge. Wenn jemand einen geliebten Menschen verloren hat, ist eine solche Haltung nicht nur verständlich, sondern zutiefst sinnvoll. Es braucht Zeit, bis man einen solchen Lebenseinschnitt verarbeitet hat. Aber diese Zeit hatten Bätzing und die Kirche längst.

Seit den 1990er Jahren stiegen die Kirchenaustrittszahlen von Jahr zu Jahr an. Da ist es doch längst an der Zeit, von der passiven Betroffenheit ins aktive Handeln überzugehen. Sonst machen sich Angst und Depression, Verzweiflung und Resignation breit.

Warum so hoffnungslos?

Und tatsächlich. Neben der großen Betroffenheit ist Bätzing noch eines: HOFFNUNGSLOS. So schreibt er in seiner Stellungnahme: „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass die Kirchen wieder voller werden oder die Zahl der Gläubigen wieder steigt.“ Wow! Als Oberhirte der größten Organisation Deutschlands hat er keinerlei Hoffnung mehr, dass es mit Kirche wieder bergauf geht, dass es trotz aller Abbrüche Wachstum geben kann und dass sich das Blatt wieder wendet? Natürlich passt ein solcher Satz zu der passiven Betroffenheit Bätzings, aber er gebührt sich nicht für einen Mann seiner Position. Vielmehr wäre es angebracht, die eigene Hoffnung, und sei sie auch noch so klein, zu betonen.

Um Bätzing kein Unrecht zu tun: Eine Hoffnung hat er dann doch, und zwar „dass die Zahl der Gottesdienstbesucher wieder ansteigt, sobald wir die Pandemie gänzlich überwunden haben“. Ehrlich? Wenn ich etwas hoffe, dann ist es, dass der Krieg in der Ukraine bald endet, dass der Hunger in den Ländern des globalen Südens nicht weiter ansteigt, dass sich weniger Menschen umbringen, weil sie das Leben einfach nicht mehr aushalten, und dass ich als Christ durch mein Handeln einen Beitrag zu all dem leisten kann.

Es wäre falsch zu sagen, dass Kirche nicht schon an vielen Stellen an der Seite der Verzweifelten ist. Das betont der Bischof auch immer wieder und damit hat er recht. Auf der anderen Seite erlebt man mal wieder das Selbsterhaltungsbestreben der Kirche als eine wirkmächtige Realität, die die Rückbesinnung auf den eigentlichen Auftrag, „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ inmitten der Gesellschaft zu sein, fast unmöglich zu machen scheint.

Ein Bischof mit Realitätsverlust

Und noch eins ist Bätzing: VERWUNDERT. Und zwar darüber, dass wohl ein Großteil der Gläubigen noch gar nichts von den großen Aufbrüchen mitbekommen hat, die durch den Synodalen Weg ins Rollen gebracht wurden. Echt unglaublich, kann man sich doch vor der Wucht dieser Reformen und ihrer kaum zu überbietenden Tragweite eigentlich kaum noch retten. Seiner Linie der Passivität folgend müssen es ja die anderen sein, die Schuld daran sind, wenn sie nicht mehr Teil dieser Kirche sein wollen. Aber mit der Realität hat das wenig zu tun. Menschen wissen sehr wohl, was sich in der Kirche tut und was eben nicht. Und sie sind in der Lage, gut begründete Entscheidungen zu treffen, auch hinsichtlich ihrer Kirchenmitgliedschaft.  

Der Maler Jürgen Hultenreich sagte einmal: „Es gibt Leute, die sich gar nicht bewegen. Wie soll man die aufhalten?

Ich habe die Hoffnung jedoch noch nicht verloren, dass wir es doch noch schaffen, Kirchenverantwortliche wie Menschen an der Basis davon zu überzeugen, dass Kirche mehr kann.

Denn allzu oft sehe ich, wie sich Christ*innen verschiedener Konfessionen aufmachen, der Resignation und der Hoffnungslosigkeit in ihrer Kirche und der Welt etwas entgegenzusetzen, die mit wenig Mitteln und großen Visionen unterwegs sind und die an Wachstum und Erneuerung glauben, weil Gott es Ihnen verhießen hat. Sorgen wir dafür, dass das zu unserer Grundhaltung wird und dass wir als gesamte Kirche vom passiven Trauern ins aktive Handeln gelangen.


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