Klaus Mertes SJ Kolumne

HIER SCHREIBT KLAUS MERTES

Nahostkonflikt an deutschen Schulen

Eine Herausforderung für die Bildung und Integration

Der Nahostkonflikt ist schon seit vielen Jahren in Deutschland angekommen. In diesen Tagen wird das auf den Straßen sichtbar. Verborgener, aber viel nachhaltiger in der Präsenz, ist der Konflikt in den Schulen wirksam. Dort prallen seit Jahren die unterschiedlichen Einstellungen zu Israel und zum Holocaust aufeinander.

Viele Lehrkräfte – nicht nur an Schulen in Berlin-Neukölln und in Duisburg-Marxloh – kennen aus eigener Erfahrung die Hassgefühle von arabisch-stämmigen Jugendlichen, wenn sie das Wort Israel hören. Sie kennen die Buttons, die Kinder und Jugendliche in den Schulen tragen, auf denen die Vernichtung Israels propagiert wird. Sie kennen die Störmanöver, wenn am 27. Januar eines jeden Jahres an den Schulen der Befreiung von Auschwitz gedacht wird. Sie wissen auch, dass man beim Hass nicht bloß durch Verbote, Brüllen oder gar Prügeleien zwischen Lehrern und Schülern weiterkommt, wenn sie Palästina-Fahnen in die Schule mitbringen. Empörung allein reicht nicht, auch berechtigte Empörung nicht.

Dem jüdischen Volk könnte ein Genozid drohen

Eine Strategie, die Konflikte im Gespräch mit den Jugendlichen pädagogisch zu bearbeiten, besteht darin, um Verständnis zu werben für die „spezielle“ Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel aufgrund seiner Geschichte. Aber reicht das? Das Massaker der Hamas in Kfa Aza war im Kern nichts anderes als die Ankündigung eines Genozids für den Tag, an dem er möglich wird. Das ist die erschreckende Erkenntnis aus den letzten Tagen.

Der Genozid droht dem jüdischen Volk tatsächlich, wenn die Parole wahr werden sollte, die auch hierzulande propagiert und/oder stillschweigend geduldet wird: „From the river to the sea, Palestine will be free.“

Die Gegenrede, die sofort erfolgt, wenn man Jugendlichen aus arabischen Ländern auf diese Tatsache hinweist, lautet, dass Israel seinerseits einen Genozid am palästinensischen Volk praktiziere. Ich kann diese Gegenrede nur so verstehen, dass sie aus einer Kultur kommt, in der die Dynamik der Blutrache bis heute die Wahrnehmung prägt: „Einen Mann erschlage ich für eine Wunde, und einen Knaben für eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, dann Lamech siebenmalsiebzigmal“ (Gen 4,23f), und zwar deswegen, weil die Tötung eines Knaben „meines“ Stammes gleichzusetzen ist mit der Tötung des ganzen Stammes. Hier gibt es dann tatsächlich keine Grenze mehr für die Eskalation, dafür umso mehr eine Legitimation für Genozid.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass solche Debatten an deutschen Schulen wieder geführt werden müssen?

Vielleicht akzentuieren wir in unserer deutschen Gedenkkultur auch falsch, indem wir nur auf das deutsch-israelische und deutsch-jüdische Verhältnis reflektieren. Es geht in der deutschen Gedenkkultur nicht nur um die Pflege einer historisch bedingten Eigenheit deutschen Fühlens und Denkens, eines Fühlens, auf das Menschen aus arabischen Ländern bitte Rücksicht nehmen sollen.

Es geht vielmehr darum, dass Genozid nie und niemals gerechtfertigt werden kann. Das gilt kulturübergreifend.

Wer ernsthaft meint, es könnte doch Argumente geben, die ihn im Falle Israels rechtfertigen, der überschreitet eine allgemein gültige, absolute Grenze.

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