Gedanken zum Rücktrittsangebot von Kardinal Marx
Bereits die Art, wie Kardinal Marx das Bundesverdienstkreuz ohne einen Hauch von Rechtfertigung oder Selbstmitleid zurückgegeben hatte, stach heraus. Es war ihm ja rein protokollarisch qua Amt als vormaligem Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz verliehen worden, und nicht etwa als Person. Darüber nicht zu räsonieren, sondern die Ehrung schlicht zurück zu geben aus Respekt vor den Betroffenen vertuschter, sexualisierter Gewalt, die sich offenbar durch diese Ehrung verletzt fühlten, spricht für persönliche Größe.
Ist der Falsche gegangen, ohne dessen Engagement die Reform der deutschen Kirche stockt? Aber genau das ist der Punkt: Politische Verantwortung zu übernehmen, ist eine Frage persönlicher Integrität, nicht strategischer Erwägungen. War es nicht einfach überfällig, dass die Führung der deutschen Kirche endlich auch Verantwortung übernimmt, statt alles abperlen zu lassen am Neopren des eigenen Sendungsbewusstseins?
Sein Rücktrittsangebot sagt viel …
Mag sein, möchte man einwenden. Mir aber fiele auch dann nicht Kardinal Marx als erster ein. Aber er ist der Erste, der von sich aus als Leitungspersönlichkeit politische Verantwortung übernimmt. Das sagt viel, nicht nur über ihn. Sein Amtsbruder in Köln wundert sich offenbar, warum Marx jetzt Hochachtung entgegengebracht wird. Das sagt viel über seine eigene Realitätswahrnehmung: Wenn es auf Standesämtern keine Termine für Kirchenaustritte mehr gibt, der Bischof von seinen Gemeinden die rote Karte gezeigt bekommt, wenn er kommt, um Sakramente zu spenden, und die überwältigende Mehrheit von Dekanen, also seines Leitungspersonals, ihn nicht mehr für tragbar hält, dann fragt man sich doch:
Was soll eigentlich noch passieren, damit ein Seelsorger erkennt, dass er nicht mehr tragbar ist, weil die Menschen ihm nicht mehr vertrauen?
Zu wenig: Kardinal Marx hat den Papst um seinen Rücktritt gebeten. Woelki hat dem Papst die Bewertung seines Handelns aufgebürdet. Das ist das Gegenteil davon, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Immun gegen jede Kritik
Woelkis Reaktion: “Hier in unserem Erzbistum werde ich als Bischof alles dafür tun, dass die Aufarbeitung weiter geht und ich und wir dem Auftrag Jesu gerecht werden, die Schwachen zu schützen und Missbrauch zu verhindern.” Damit zeigt er nur, wie dringend die katholische Kirche endlich auch theologisch Konsequenzen aus dem Versagen ihres Leitungspersonals ziehen muss.
Wo Jesu Bild vom Hirten zum Fundament einer Amtstheologie und zur Rechtfertigung absolutistischer Strukturen gemacht wird, immunisieren sich die Mächtigen, wie Woelki, bereits im Keim gegen jede Kritik. Widerspruch „ertragen“ zu müssen, lässt sich dann schnell zur Begründung einer spirituellen Sonderstellung umdeuten, zum persönlichen Kreuz. Ein Panzer, durch den keine auch noch so berechtigte Kritik dringt. Eine Fahrkarte in die Sonderwelt. Woelki möchte die Schwachen schützen. Dabei könnte eines Woelki zu denken geben. In Jesu Gleichnis zeigt sich der wahre Hirte vor allem daran: Die Schafe vertrauen ihm!
Kardinal Marx dagegen: “Ich möchte damit deutlich machen: Ich bin bereit, persönlich Verantwortung zu tragen, nicht nur für eigene Fehler, sondern für die Institution Kirche, die ich seit Jahrzehnten mitgestalte und mitpräge.” Dafür gebührt ihm persönlich Respekt. Seine Stimme wird, selbst wenn der Papst seiner Bitte entspricht, in der Kirche wichtig bleiben.
Es ist an der Zeit, endlich persönlich Verantwortung zu übernehmen
Die Aufklärung der Geschichte sexualisierter Gewalt im Münchner Bistum aber wird womöglich bald die Frage an einen Vorgänger von Marx im Münchner Bischofsamt stellen, der in Rom die Institution Kirche mit all ihrem Versagen für Jahrzehnte noch viel nachhaltiger geprägt hat als die Kardinäle Marx und Woelki zusammen, ob nicht auch er endlich persönlich Verantwortung übernehmen muss.