Björn Hirsch über das Drama der Personalsituation in der Kirche
Kirche kommt für immer weniger Menschen als Arbeitgeber in Frage. Die Folge: Mit immer größerer Wucht erfasst der Fachkräftemangel kirchliche Strukturen. Dabei ist das eigentliche Problem hausgemacht.
Kürzlich bekam ich einen Anruf von einer Headhunterin. Sie wollte mich für eine Führungsposition außerhalb der amtlich verfassten Kirche gewinnen. Doch die Stelle sagte mir nicht zu und ich lehnte das Angebot ab. Aber dennoch hat dieser Anruf etwas in mir losgetreten. Denn die Headhunterin stellte mir im Gespräch eine Frage, die mir nachging: „Warum verschwendet Kirche gerade so viel Potenzial?“
Geschlossene Priesterseminare, leere Ausbildungskurse, offen Stellen
Der Fachkräftemangel prägt unsere Gesellschaft immer mehr. Unternehmen, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen kommen personell an ihre Grenzen – weil keine Menschen da sind, die offene Stellen besetzen. In Schulen fällt reihenweise Unterricht aus – weil Lehrkräfte fehlen.
Interessanterweise wird das Thema Fachkräftemangel in der Kirche kaum so bezeichnet: Dabei sind geschlossene oder leerstehende Priesterseminare und Ausbildungskurse für pastorale Mitarbeiter:innen nichts anderes als traurige Mahnmale dafür, dass für junge Menschen Kirche nicht mehr als Arbeitgeber in Frage kommt. Die Zahlen der Theologiestudierenden rauschen in den Keller – eine Aussicht auf Besserung? Nicht in Sicht.
Das geht an die Substanz. Und damit meine ich das, wie Kirche gerade agiert und sich selbst versteht.
Systemerhaltungswünsche
„Möglicherweise sind Sie nicht sensibel genug für kirchliche Abläufe und hierarchische Strukturen, deshalb können wir Ihnen die Stelle nicht geben.“ Das musste ich selbst einmal hören, als ich in der engen Auswahl für eine kirchliche Leitungsstelle war. Man könnte es auch anders formulieren: „Wir haben Angst, dass Sie zu viel bewirken und sich möglicherweise nicht in das System Kirche einfügen möchten.“
Etwas zu bewirken, Strukturen gestalten, Selbstbeschäftigung abschaffen und nach draußen zu gehen – das ist es, was die Attraktivität einer Stelle ausmacht. Doch leider versagt Kirche hier. Vielmehr werden Veränderungen totdiskutiert oder neue Ideen mit Argwohn bedacht. Aber ehrlich gesagt: Ist ein Arbeitgeber attraktiv, der Angst vor Veränderung ausstrahlt?
Menschen mit Potential verlassen ihre kirchliche Arbeitsstellen, weil sie in der Wirtschaft eine attraktiveren Rahmen finden. Ich sprach mit einem Freund, der wechselt. Er erzählte mir davon, dass er sich mit dieser Organisation immer weniger identifizieren könne, dass ihm besonders der Umgang mit den Missbrauchsfällen schwer im Magen läge, dass er nur all zu oft als Projektionsfläche für kirchliche Probleme herhalten müsse und dass es mühsam sei, gegen die Bürokratieversessenheit seiner Behörde anzukämpfen.
Wie lange also noch will Kirche ihre guten Leute verprellen?
Ansonsten bleibt nur ein Drama
Meine Empfehlung an die Verantwortlichen in der Kirche: Nehmt die Kompetenzen eurer Mitarbeitenden stärker wahr – und auch ernst. Setzt sie gemäß ihrer Fähigkeiten ein und nicht um Löcher zu stopfen, die durch den rapiden Rückgang von Gemeinde- und Pastoralreferent:innen, Priestern und Diakonen entstehen. Schafft Räume, in denen sie ihre Potenziale entfalten können, bieten ihnen jede Form der Unterstützung an, seien es Coachings, Aus- und Weiterbildungen oder spirituelle Begleitung. Sorgt dafür, dass ein fehlerfreundliches Arbeiten und Lernen allerorts möglich sind. Habt keine Angst vor jenen, die nicht den kirchlichen Stallgeruch haben. Und: Zeigt Lust an Veränderungen und Menschennähe – und nicht nur an Bürokratie.
Ansonsten bleibt nur das Drama: Eine Kirche, die sich nicht entwickeln möchte, lockt keine Menschen, die Lust am Entwickeln haben. Eine Organisation, die sich nicht verändern will, verprellt Menschen, die die Welt verändern wollte.
Wenn Kirche keine Menschen mehr für sich gewinnen kann, dann wird ihr das fehlen, nach dem sie sich gerade am meistens sehnt: Eine Zukunft.