Zu Anbiederungen und Beschimpfungen im Fall des Fußballspielers Joshua Kimmich
FC-Bayern-Kicker Joshua Kimmich lässt sich nicht impfen. Genauer: „Noch nicht.“ Er habe „persönlich noch ein paar Bedenken, gerade, was fehlende Langzeitstudien angeht.“ Kimmich lässt sich regelmäßig testen, was in seinem Falle auch leichter durchführbar ist, denn der FC Bayern München bezahlt die Tests. Auch sonst ist Kimmich vermutlich finanzstark genug, um im Fall der Fälle die Tests selbst zu kaufen.
Die Debatte eskaliert seitdem, angefangen mit Abstempelungen wie in den TAGESTHEMEN am 27.10.2021 (Hanni Hüsch: „Der AfD hat er den Ball genau vors Tor gelegt. Alice Weidel hat dankbar verwandelt“), über herablassend arrogante Anbiederung (Merkel-Beraterin Brinkmann in FOCUS-Online: „Ich bin auch gerne dabei, wenn er sich impfen lässt, wenn er eine Hand braucht, während er geimpft wird“) bis hin zu den üblichen Beschimpfungen („Bekloppte“, „Egoisten“, „Pandemietreiber“, usw.).
Doch nun hat frisch gewählte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in diese Aufregung hinein ein kluges Wort gesprochen, vorausgesetzt, sie hat es nicht ironisch gemeint: Sie sei „sogar dankbar, dass er (Kimmich) die Debatte über Langzeitfolgen der Impfungen vor dem Winter noch einmal angestoßen hat. Vielleicht lassen sich dann noch mehr Menschen von einer Impfung überzeugen, bevor sie von der vierten Welle erwischt werden, die jetzt rollt. Insofern kommt die Äußerung von Joshua Kimmich aus meiner Sicht zum richtigen Zeitpunkt.“ (Rheinische Post, 29.10.2021)
Ja, genau. Lasst uns diese Debatte doch führen! Ängste überwindet man nicht dadurch, dass man Leute anbrüllt, unter Druck setzt, arrogant belächelt oder moralisch diffamiert.
Schon gar nicht funktioniert das innerhalb eines Machtgefälles, wie es zwischen Staat und Bürgern besteht. Und auch dies muss gelten: Je tiefer die Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften von oben weitergetrieben wird (Helge Braun: „2G ist die logische Folgerung von 3G.“), umso deutlicher wird, wie sehr diejenigen, die so über andere herziehen, ihrerseits von Ängsten getrieben sind.
Sind Ängste rational – oder irrational?
Auch über diese Ängste sollte man debattieren können und dürfen. Oder sind etwa nur die Ängste der Einen rational, während die der Anderen irrational sind? Ängste treten immer gerne mit dem Anspruch des Unbedingten auf. Gerade deswegen helfen hier reflektierende Distanz sowie gewaltfreier Diskurs – um mal einen vergessenen, leider zu oft belächelten, aber hier genau passenden Begriff zu benutzen.
„Dankbarkeit“ ist in Zeiten der Erregung und Spaltung ein gutes Wort. Es bringt einen anderen Ton in die Debatte. Joshua Kimmich steht für viele Ungeimpfte, die weder rechtsradikal noch bekloppt sind, aber dafür ein Anrecht darauf haben, in ihren Bedenken und Argumenten ernst genommen zu werden – auf Augenhöhe.