Warum Kardinal Woelki jetzt selbst Verantwortung übernehmen muss
Das Erzbistum Köln kommt nicht zur Ruhe. Die Kirche verzeichnet eine Rekordwelle der Kirchenaustritte. Unterschiedlichste Gruppen, der Diözesanrat, auch eine Reihe Priester äußern öffentlich ihre Verstörung über die Vorgänge und fordern Konsequenzen. Der Kardinal möge Verantwortung übernehmen, nicht nur für das institutionelle Versagen der Bistumsleitung, das Kardinal Woelki bereits öffentlich eingestanden hat, sondern auch für persönliches Fehlverhalten. Aus der großen, vertrauensbildenden Geste, mit der Kardinal Woelki zum Vorreiter werden wollte, ist ein Brandbeschleuniger des Vertrauensverlustes geworden.
Ich kann die Vorgänge aus der Entfernung nicht fair beurteilen, und damit auch nicht die Berechtigung von Rücktrittsforderungen an den Kölner Kardinal. Aber Kardinal Woelki hat die Entscheidung über seinen Verbleib im Amt nach Rom delegiert. Und selbst wenn man positiv unterstellt, es gehe Woelki bei diesem Schritt nicht darum, den Papst mit seinem von Woelki nicht gerade geliebten Kurs politisch in Schwierigkeiten zu bringen, so wird darin doch mindestens ein Amtsverständnis deutlich, das im 19. Jahrhundert wurzelt, und dessen Verfallsdatum längst abgelaufen ist, weil es unmittelbar in die aktuelle Krise führte. Was meine ich?
Mit dem Rückenwind der auf die monarchische Restauration bedachten Kreise in Deutschland und Österreich rund um den österreichischen Fürsten Metternich und der überwiegend protestantischen Landesfürsten setzten sich im 19. Jahrhundert in der katholischen Kirche jene Kräfte durch, die sich von einem römischen Zentralismus und vom Abbruch jedes Gesprächs mit der Moderne eine Stärkung der Kirche erhofften. Am Ende dieser Bewegung standen die Verurteilung von Religionsfreiheit, Demokratie und die Verkündung der päpstlichen Unfehlbarkeit und des päpstlichen Primats in der Jurisdiktion.
Fake News
Ein klarer Traditionsbruch wurde vertuscht durch eine frei erfundene, angeblich auf dem Konzil Trient basierende, kirchliche Tradition, also durch historisch-theologische „Fake News“, durch machtpolitische Winkelzüge und durch die Marginalisierung Andersdenkender. Die Ortbischöfe waren zu Oberministranten des Papstes geworden. Das bekam die deutsche Kirche zuletzt massiv zu spüren, als Rom ihr politisch den Kurs im Umgang mit der Schwangerschaftsberatung im Kontext der Abtreibungsdebatte diktierte.
Von Anfang an war der Preis der ideologischen Überhöhung des römischen Bischofs also, dass sie nur gelingen konnte durch die systematische Ächtung missliebiger theologischer Positionen und die Bildung von Seilschaften, in denen Loyalität zur jeweils herrschenden Clique und Ideologie Vorrang vor Recht und Wahrheit hatte. Inhaltlich haben nur wenige der ewigen Wahrheiten überlebt, denen dieses System angeblich dienen sollte.
Der Kirchenstaat fiel am Tag nach der Verkündigung der Unfehlbarkeit. Und die katholische Kirche bekämpft seit langem weder Religions- und Meinungsfreiheit noch Demokratie, Gott sei Dank!
Aber eine unselige Langlebigkeit entwickelte unter Kirchenleitungen nicht nur in Rom, unter vielen Klerikern und in vielen der tonangebenden, „besseren“ katholischen Kreisen jene Kultur der Immunisierung gegen Kritik, die abweichende Meinungen sofort als Glaubensabfall und Illoyalität wertete, und die zugleich eine Kultur der Verantwortungslosigkeit und der verschlossenen Augen war, wenn es um Korruption und Machtmissbrauch in den eigenen Reihen ging.
Kardinal Woelki ist in der Verantwortung
Es ist in meinen Augen erschütternd, wie sehr der Aufstieg des römischen Zentralismus im vorletzten Jahrhundert von Anfang an begleitet war von ähnlichen Phänomenen, die nun die Kirche in die existentielle Vertrauenskrise gestürzt hat. So die Vertuschung der sexualisierten Gewalt und der Verbrechen rund um die Clique des deutschen Jesuiten und theologischen Gewährsmann für die päpstliche Unfehlbarkeit Josef Kleutgen. Das System hielt, bis ein anderer Joseph, Joseph Ratzinger, eine Stütze des Systems über Jahrzehnte, als Papst seine Augen nicht mehr verschließen konnte vor dem Ausmaß der Ungeheuerlichkeiten und damit auch seines persönlichen Scheiterns, und zurücktrat.
Das Fazit dieser Geschichte: Wenn Kardinal Woelki die Entscheidung über den Verbleib im Amt nach Rom abschiebt, statt sich seinen Kritikern und seinem Gewissen zu stellen, dann stellt dies einen Rückfall in ein Amtsverständnis dar, das direkt in die Krise geführt hat.
Der Dachstuhl in Kölns Dom brennt lichterloh. In dieser Situation braucht die Kirche, brauchen die Katholiken in der Bistumsleitung in Köln nicht Oberministranten, die auf römische Order warten, sondern Menschen, die bereit sind Führung und Verantwortung zu übernehmen.
Der Kardinal sollte also selbst bedenken, ob sein Verbleib im Amt der Kirche in Köln und ihren Menschen in dieser Situation noch dient. Und er sollte dann entscheiden und seine Entscheidung auch selbst verantworten.