Tobias Zimmermann SJ Jesuit

HIER SCHREIBT TOBIAS ZIMMERMANN SJ

Systemvergiftung

Über Wahlerfolge der extremen Parteien – und dem künstlich angefeuerten Frustgefühl in der Gesellschaft

Keiner will, dass sie regieren. Trotzdem werden sie gewählt. Nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Österreich und den Siegen der extremen Parteien stellt sich erneut die Frage: Was tun? Hier vielleicht nicht „die“ Antwort, aber ein Anfang.

In Österreich regiert auch morgen vermutlich kein „Volkskanzler“. Denn das wollen nicht mal die eigenen Wähler – Wählerinnen sind es ja eher weniger. Wie in Thüringen und Sachsen wissen sie auch in Österreich: Herr Kickl wie auch die AFD Vertreter in den Kommunen und Parlamenten glänzen eher durch Abwesenheit als durch konkrete und anstrengende Arbeit für die Interessen derer, die sie gewählt haben.

Wer, bitte, hält diese Figuren für normal?

Gewählt werden AFD und FPÖ auch nicht, weil sie im Kampf gegen die angeblichen „Eliten“ die „Normalos“ verkörpern. Wer, bitte, hält diese Figuren für normal? Nein, sie zu wählen, ist für viele Wähler – jenseits der sich verfestigenden Milieus rechtsradikaler Gruppen – einfach ein Ventil für Frust. Und spätestens jetzt reden wir in der Regel über die Fehler der anderen Parteien. Und da findet sich natürlich Einiges: Die in der Regierung zerlegen sich vorsichtshalber aus Frust über den gegen sie gerichteten Frust selbst.

Und die Opposition füttert mit ihrer verbalen Aufrüstung gegen die Ampel im Allgemeinen und die Grünen im Besonderen nur Zukunftsängste und Unzufriedenheit, und profitiert -wie all die Jahre zuvor, – auch diesmal nicht selbst. He Ihr, wie oft brauchen wir das noch, bis Ihr das kapiert, Herr Söder, Herr Merz …? Ihr merkt, ich kann Frust auch.

Aber ich glaube, mit der hemmungslosen und hasserfüllten Dauerschleife des Motzens und Keifens halten uns AFD und FPÖ in Wahrheit auf unangenehme Weise nur den Spiegel vor Augen. Das ist, was ich gerade erlebe:

Egal, ob Du beim Friseur bist, im Café die Gespräche am Nachbartisch leider nicht überhören kannst oder Bekannte auf der Straße triffst: Nörgeln über das, was nicht läuft und die, die schuld sind.

Dabei hätten die meisten Menschen weltweit vermutlich gerne unsere Probleme, wenn sie auch unsere Mittel hätten.

Man nennt das systemische Vergiftung: Jede Person, die zuhört, infiziert sich, wird runtergezogen und steckt dann andere an. So verstärken wir gegenseitig unsere Fixierung auf das Negative und blasen unsere sehr realen Probleme und unsere manchmal eh schon irrationalen Ängste über das normale Maß auf. Was hilft dagegen? Ein Anfang wäre: Einfach unterbrechen, weghören oder schlimmstenfalls weggehen. Und abschalten!

Dreht all den Nörglern einfach den Saft ab!

Genau, dreht all den Nörglern einfach den Saft ab! Das geht, ich kann es bezeugen. Und es geht mir gut damit. Und das ist keine Weltflucht. Im Gegenteil: Plötzlich ist Raum und Energie, Dinge mit den Menschen anzupacken, die an Lösungen interessiert sind, statt rumzuheulen und den falschen Menschen Vertrauen zu geben, das sie nicht verdienen.


Tobias Zimmermann SJ

ist Priester, Pädagoge und Jesuit. Als Autor und als Mitbegründer des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das er seit Oktober 2019 leitet, arbeitet Tobias Zimmermann an Projekten der Entwicklung der katholischen Schulbildung und Spiritualität, in der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung von Schulleitungen und Pädagogen. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Heinrich Pesch Hauses und wirkt mit an der Weiterentwicklung der Akademie im Bereich Online-Bildung, neue Schwerpunktthemen sowie an der Entwicklung der Heinrich Pesch Siedlung, einem Modellprojekt für soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Foto: Stefan Weigand

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