Zimmermann Meinung

HIER SCHREIBT TOBIAS ZIMMERMANN SJ

Die Koalition klebt fest

Niemand soll alleine bleiben, verspricht der Kanzler. Wenn es so weiter geht, lassen die Bremser in der Koalition die nächste Generation ziemlich alleine.

In wenigen Jahren wird es wie mit der CSU und der LKW-Maut sein: Da werden heute aus polit-technokratischer Fantasielosigkeit politische Phrasen gemolken, die ins Nirwana führen, um Wähler auf die billige Art zu gewinnen. Und das nur, weil man ihnen die Wahrheit nicht zutraut, ihnen nicht zumuten will, sich zu bewegen, und weil man selbst nicht fähig ist, notwendige Schritte in mehrheitsfähige Politik umzusetzen. Und wenn dann morgen die Bevölkerung auf den Kosten sitzt, auf kaputt gesparten Schienen und Schulden, dann sind die politischen Verantwortlichen längst mit der politischen Karawane den Blick fest auf neue Wahlprognosen weiter gezogen. War da was?

Um es vorweg zu nehmen: Was die Grünen im Krisengipfel der Koalition erreicht haben, ist besser als Nichts. Insgesamt aber ist das Bild der Koalition traurig. Sie war angetreten, das Land zu erneuern. Und das wäre nach Jahren der Stagnation mehr als fällig. Gerade die ungewöhnliche Verbindung aus Grünen und FDP weckte die Hoffnung, dass aus der Reibung von unverbrauchten Partnern, neue, unideologische Ansätze geboren werden könnten, die das Land angesichts wirklich existentieller Krisen und extrem kurzer Zeit, sie zu lösen, vorwärts bringen würden.

Stattdessen klebt die FDP auf zentralen Politikfeldern, die sie mit Ministern wie Volker Wissing besetzt hat, fest in rückwärtsgewandter Ideenlosigkeit. Mit Parolen von gestern und schwindsüchtigen Floskeln, wie „Technologieoffenheit“ kann man auf Dauer nicht überdecken, dass die FDP versucht, das Land mit dem Bremspedal zu steuern. Und die SPD? Sie fordert die soziale Verträglichkeit einer klimapolitischen Wende ein, wirkt nach Jahrzehnten des Regierens aber eher müde und ideenlos, wenn es darum geht, einer globalen Klimakrise zu begegnen. Und tatsächlich, wenigstens darin ist der FDP zuzustimmen, lassen sich nicht alle Krisen mit Geld zuschütten.

Was nun?

Normalerweise würde man nun auf die Opposition und auf neue Koalitionen hoffen. Aber ausgerechnet jetzt entdeckt auch die Union den Rückwärtsgang, um in ihrer Biografie dahin zurückzufahren, wo viele Probleme herrühren. Die Rechnung scheint dabei sehr einfach: Lieber Politik machen, die alt ausschaut, weil die „Alten“ in der Mehrheit sind.

Aber ist eine verkorkste Zukunft das, was Eltern und Großeltern ihren Kindern und Enkeln wünschen? Warum holt sie niemand in ihrem Verantwortungsbewusstsein ab?

Und so nähern wir uns unbeweglich mit rasendem Tempo jenen Kipppunkten im Weltklima, die uns die Möglichkeit aus der Hand schlagen werden, das Schlimmste zu verhindern. Ziemlich sicher haben die Grünen nicht in auf alle Fragen die richtigen Antworten. Und angesichts der Herausforderungen wäre ein Wettbewerb der Ideen dringend nötig. Aber solange die anderen Parteien statt Ideen Phrasen entwickeln, weil ihnen der Mut fehlt, ihren Wählern die Wahrheit zuzumuten, sind sie der einzige Motor, der uns voranbringt.

Es mokieren sich viele über die „Unverantwortlichkeit“ derer, die sich auf Straßen festkleben. Tatsächlich unverantwortlich aber ist, wie eine sehr große Koalition der Fantasie- und Mutlosen in der Politik uns gerade am Status quo ante festzukleben versucht. Es sind die Kinder und Enkel, die im Angesicht der Katastrophe, die längst da ist, allein gelassen werden. Sie müssen jetzt schon mit den Folgen dieser Unbeweglichkeit leben, mit extremen Unwettern, Strömen von Flüchtenden, Mangel an Wasser … „Wir lassen niemanden allein“, das ist leider gelogen, Herr Kanzler.


Tobias Zimmermann SJ

ist Priester, Pädagoge und Jesuit. Als Autor und als Mitbegründer des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das er seit Oktober 2019 leitet, arbeitet Tobias Zimmermann an Projekten der Entwicklung der katholischen Schulbildung und Spiritualität, in der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung von Schulleitungen und Pädagogen. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Heinrich Pesch Hauses und wirkt mit an der Weiterentwicklung der Akademie im Bereich Online-Bildung, neue Schwerpunktthemen sowie an der Entwicklung der Heinrich Pesch Siedlung, einem Modellprojekt für soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Foto: Stefan Weigand

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