Grillmeyer Header

HIER SCHREIBT SIEGFRIED GRILLMEYER

Der nötige Nahkampf für die Demokratie

Was wir von asiatischer Kampfkunst für Politik und Gesellschaft lernen können

Neulich kamen wir nach einem frühen Abendessen an einem hellerleuchteten Laden an der Berliner Friedrichstraße vorbei. Ein früherer Ausstellungsbereich ist dort umfunktioniert worden zu einem Gymnastikraum. Eine ganze Gruppe gleich bekleideter Kämpferinnen und Kämpfer stand da in einer Reihe und folgte den Befehlen eines Meisters, ebenfalls im weißen Kampfanzug mit schwarzem Gürtel. Die fließenden Bewegungen beeindruckten mich und ich blieb im schützenden Dunkel der gegenüberliegenden Straßenseite stehen und verfolgte das Training.

Ich bin nun wirklich kein Experte asiatischer Kampfkunst. Erst das unscheinbare Schild am Fenster verriet mir, dass es sich nicht um Karate oder Judo, sondern um Taekwondo handelte und die verschiedenen Gürtelfarben den persönlichen Grad der Vervollkommnung auswiesen. Die Verbindung von körperlicher Selbstbeherrschung und geistiger Reife sowie die gegenseitige Unterstützung Gleichgesinnter auf diesem Wege hatten mich schon immer fasziniert.

Schlagabtausch mit Respekt

Nach der gemeinsamen Sporteinheit ging es zu einzelnen Kämpfen. Die beiden Kontrahenten, (denn überwiegend waren es Männer), verneigten sich und erwiesen einander durch einen Gruß gegenseitig ihren Respekt. Dann kam der Schlagabtausch, bei dem keiner dem anderen etwas schenkte. Ganz offensichtlich ging es ums Gewinnen und einen ernsthaften Kampf! Doch am Ende, nach durchaus erbitterten Auseinandersetzungen, erwiesen sich beide wieder die Ehre und grüßten sich anerkennend.

Und eines noch: Wer die Regeln des Spieles nicht befolgte, wurde ermahnt und bei wiederholten Übertritten des Raumes verwiesen. An diesem Abend wechselte neben den Kämpfenden auch der jeweilige Schiedsrichter und somit wachten alle zusammen über die Einhaltung der Spielregeln.

Persönlicher Einsatz für die Demokratie

Das war es, was ich mir nicht nur für den Wahlkampf, sondern ganz grundsätzlich für unsere Gesellschaft wünsche. Wir müssen in die Arena, in den persönlichen Nahkampf für die Demokratie! Da dürfen wir den Gegner, den Feinden des Menschlichen, den Feinden auch einer offenen Gesellschaft, den Rassisten, Verleumdern und Hasspredigern nicht mehr aus dem Weg gehen.

Es ist vorbei, dass wir nur zuschauen und lieber ausweichen, wenn ein ausländerfeindlicher Satz, eine antisemitische Bemerkung fällt oder einfach nur Fake News und Lügen dominieren. Es ist vorbei die Zeit der Beschwichtigungen und vor allem des Schweigens. Ohne den einzelnen Nahkampf für die Demokratie wird auch das große Ganze nicht zu retten sein. Und zu diesem nötigen Kampf gehört auch das Verbeugen vor dem Menschlichen.

Es sind zwei Dinge, die mich dieser Einblick in die asiatische Kampfkunst gelehrt hat: Wir müssen uns – ähnlich wie im regelgeleiteten Taekwondo-Kampf – der bestehenden Grenzlinien bewusster werden. In dieser koreanischen Kampfkunst sind die Menschen zwar Gegner, aber auch Partner in einem höheren Sinne zur Vervollkommnung und Humanität. Wenn wir für die Bewahrung des Menschlichen kämpfen, müssen wir einem immer mehr verkrusteten Freund-Feind-Schema entgegentreten und bestenfalls überwinden. Gleichzeitig gilt es jedoch, menschenverachtende Haltungen, demokratiegefährdende Tendenzen und die Missachtung menschenrechtlicher Prinzipien klar zurückzuweisen


Siegfried Grillmeyer

Er ist seit 2008 Leiter des Caritas Pirckheimer Hauses, der Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, sowie Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Bildung sowie privat von Essays und Kurzgeschichten.
www.grillmeyer.info

Weiterlesen

Pirmin Spiegel

Zuversicht in schwierigen Zeiten

Für Pirmin Spiegel ist klar: Wir stehen inmitten einer zivilisatorischen Herausforderung. Trotz aller Krisen gibt es aber weltweit Menschen, die Veränderung leben und Hoffnung geben. Ihr Engagement zeigt: Wandel ist möglich – wenn wir bereit sind zu handeln.

weiter
Max Berger

Welt aus den Fugen

Trump demontiert die USA, Autokraten applaudieren, und Europa muss erkennen: Die Zeit der amerikanischen Schutzmacht ist vorbei. Wer jetzt nicht handelt, verliert.

weiter
Kerstin Hofmann

Elterntaxi – muss das sein?

Sind das alles „Helikoptereltern?“ Oder gibt es vielleicht noch andere Gründe, warum Eltern ihre Kinder mit dem Auto am liebsten bis auf den Schulhof bringen würden?

weiter