Was wir von asiatischer Kampfkunst für Politik und Gesellschaft lernen können
Neulich kamen wir nach einem frühen Abendessen an einem hellerleuchteten Laden an der Berliner Friedrichstraße vorbei. Ein früherer Ausstellungsbereich ist dort umfunktioniert worden zu einem Gymnastikraum. Eine ganze Gruppe gleich bekleideter Kämpferinnen und Kämpfer stand da in einer Reihe und folgte den Befehlen eines Meisters, ebenfalls im weißen Kampfanzug mit schwarzem Gürtel. Die fließenden Bewegungen beeindruckten mich und ich blieb im schützenden Dunkel der gegenüberliegenden Straßenseite stehen und verfolgte das Training.
Ich bin nun wirklich kein Experte asiatischer Kampfkunst. Erst das unscheinbare Schild am Fenster verriet mir, dass es sich nicht um Karate oder Judo, sondern um Taekwondo handelte und die verschiedenen Gürtelfarben den persönlichen Grad der Vervollkommnung auswiesen. Die Verbindung von körperlicher Selbstbeherrschung und geistiger Reife sowie die gegenseitige Unterstützung Gleichgesinnter auf diesem Wege hatten mich schon immer fasziniert.
Schlagabtausch mit Respekt
Nach der gemeinsamen Sporteinheit ging es zu einzelnen Kämpfen. Die beiden Kontrahenten, (denn überwiegend waren es Männer), verneigten sich und erwiesen einander durch einen Gruß gegenseitig ihren Respekt. Dann kam der Schlagabtausch, bei dem keiner dem anderen etwas schenkte. Ganz offensichtlich ging es ums Gewinnen und einen ernsthaften Kampf! Doch am Ende, nach durchaus erbitterten Auseinandersetzungen, erwiesen sich beide wieder die Ehre und grüßten sich anerkennend.
Und eines noch: Wer die Regeln des Spieles nicht befolgte, wurde ermahnt und bei wiederholten Übertritten des Raumes verwiesen. An diesem Abend wechselte neben den Kämpfenden auch der jeweilige Schiedsrichter und somit wachten alle zusammen über die Einhaltung der Spielregeln.
Persönlicher Einsatz für die Demokratie
Das war es, was ich mir nicht nur für den Wahlkampf, sondern ganz grundsätzlich für unsere Gesellschaft wünsche. Wir müssen in die Arena, in den persönlichen Nahkampf für die Demokratie! Da dürfen wir den Gegner, den Feinden des Menschlichen, den Feinden auch einer offenen Gesellschaft, den Rassisten, Verleumdern und Hasspredigern nicht mehr aus dem Weg gehen.
Es ist vorbei, dass wir nur zuschauen und lieber ausweichen, wenn ein ausländerfeindlicher Satz, eine antisemitische Bemerkung fällt oder einfach nur Fake News und Lügen dominieren. Es ist vorbei die Zeit der Beschwichtigungen und vor allem des Schweigens. Ohne den einzelnen Nahkampf für die Demokratie wird auch das große Ganze nicht zu retten sein. Und zu diesem nötigen Kampf gehört auch das Verbeugen vor dem Menschlichen.
Es sind zwei Dinge, die mich dieser Einblick in die asiatische Kampfkunst gelehrt hat: Wir müssen uns – ähnlich wie im regelgeleiteten Taekwondo-Kampf – der bestehenden Grenzlinien bewusster werden. In dieser koreanischen Kampfkunst sind die Menschen zwar Gegner, aber auch Partner in einem höheren Sinne zur Vervollkommnung und Humanität. Wenn wir für die Bewahrung des Menschlichen kämpfen, müssen wir einem immer mehr verkrusteten Freund-Feind-Schema entgegentreten und bestenfalls überwinden. Gleichzeitig gilt es jedoch, menschenverachtende Haltungen, demokratiegefährdende Tendenzen und die Missachtung menschenrechtlicher Prinzipien klar zurückzuweisen