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HIER SCHREIBT SIEGFRIED GRILLMEYER

Der Nikolaus ist nicht reaktionär

Ein Kneipengespräch über Traditionen und Toleranz

Neulich waren Kinder mit ihren Laternen auf dem Nachhauseweg, als wir in die Stammkneipe kamen. Ich war in bester Laune, denn diese Lieder machen einfach Freude und man summt sofort mit: „Ich geh’ mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir …“. Daher sagte ich zur Begrüßung an der Theke: „Heute mal ein Bier auf den heiligen Martin!“

Die üblichen Verdächtigen prosteten mir zu und ich wurde gefragt, ob ich auf dem Lichterfest war. Ich meinte, es war wohl ein verspäteter Martinszug! Nö, wurde ich belehrt, das hieße jetzt Lichterumzug. Und das sei auch gut so, denn ein Lichterfest sei für alle was Schönes. Kopfschüttelnd entgegnete ich: „Der Martinsumzug ist auch für alle was Schönes“, und verteidigte den Martinsumzug gegen das säkularisierte Lichterfest, verwies auf diese wunderbare Erzählung des Bischofs von Tours, der aus reiner Barmherzigkeit seinen Mantel teilte und die rührenden Traditionen.

Kalt erwischt

Leider bekam ich von einem Kneipenbesucher Zustimmung, von dem ich keine Unterstützung möchte. Denn unsere Positionen liegen üblicherweise weit auseinander. Schließlich garnierte er sein Lob für meine Ansichten mit der Phrase: „Ich bin auch für die deutschen Traditionen. Aber das wird man ja nicht mehr sagen dürfen.“ Vielleicht aufgrund dieser Intervention kam auch prompt aus anderem Munde die Feststellung, man hätte ja nicht gedacht, dass ich derart radikal und konservativ sei. Ich war so überrascht, dass ich nicht mal meinen Standardsatz aufsagen konnte: „Natürlich darf man alles sagen und das wurde ja grad eben bewiesen, aber man muss dann eben auch Kritik und eine andere Meinung aushalten.“ Denn ich fühlte mich plötzlich auf der falschen Seite, denn was sollte bitteschön an St. Martin und auch am heiligen Nikolaus reaktionär sein? Meine gute Laune war dahin und wir verfielen innerhalb kürzester Zeit in schwarz-weiß Denken, in diesen Schlagabtausch zwischen links-rechts, reaktionär-woke, progressiv-konservativ. 

Noch schwieriger wurde es übrigens bei der Frage, ob nun der Krampus oder der fränkische Pelzermärtl die Rettung des Abendlandes gewährleisten oder die bekannte koffeinhaltige Limonade mit ihrem Santa Claus längst die wunderbare Adventszeit ökonomisiert und kolonialisiert habe.

Die bunte Vielfalt des Lebens finden

Nun, es wurde ein langer Abend und es blieb nicht bei einem Getränk, bis wir aus dem Schwarz-Weiß heraus wieder die vielen Grautöne oder besser die bunte Vielfalt des Lebens gefunden hatten. Kurzum: ich habe an diesem Abend gelernt, dass man schnell in eine aufgeheizte Stimmung kommen kann, in dem eine einfache Aussage bereits zur Position als Freund oder Feind führt und es viel Kraft kostet, wieder auf die Ebene der Argumente zu kommen. Denn gerne kann man ein Lichterfest feiern und es wird dadurch nicht das christliche Abendland untergehen. Aber es gibt auch gute Gründe, die wunderbaren Geschichten zu erzählen und die verbindend-anrührenden Feiern zu begehen, ohne dabei auszugrenzen und sich ins rechtspopulistische Abseits zu begeben.

St. Martin und der heilige Nikolaus waren so manches, vor allem waren sie menschenfreundliche Personen, die sich für die Armen eingesetzt haben.

Wenn Menschenfreundlichkeit ein linkes Projekt sein soll, dann nur her damit. Daran zu erinnern und damit als Schatz unserer Kultur zu bewahren, mag im besten Wortsinns konservativ sein, auch das soll mir recht sein! Aber Nikolaus ist sicher nicht reaktionär! Lasst ihn uns mit allen feiern!


Siegfried Grillmeyer

Er ist seit 2008 Leiter des Caritas Pirckheimer Hauses, der Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, sowie Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Bildung sowie privat von Essays und Kurzgeschichten.
www.grillmeyer.info

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