Klaus Mertes SJ über die Verhandlungen zur Gesetzeslage um Schwangerschaftsabrüche
Die Bundesregierung verhandelt die Gesetzeslage um Schwangerschaftsabbrüche neu. Das führt zur Diskussion hochkomplexer Probleme – und lockt zur Vereinbarung von unterkomplexen Deals für den Koalitionsfrieden. Ein Kommentar von Klaus Mertes SJ.
SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin einzusetzen, „die Regulierungen für den Schwangerschaftsanspruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ prüfen soll. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) trat in den ersten Tagen des neuen Jahres erneut mit der Forderung an die Öffentlichkeit, § 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Politischen Rückenwind hat sie seit dem 24. Juni 2022, als die Ampelkoalition zusammen mit der Linken für die Streichung von § 219a – Verbot der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche – mit klarer Mehrheit im Bundestag stimmte.
Die Kommission ist als ein gemeinsames Projekt von Familien-, Justiz- und Gesundheitsministerium unter der Federführung des Gesundheitsministers angelegt. Die Kommissionsmitglieder, die sich mit der Abschaffung von § 218 befassen sollen, sind bereits ausgewählt. Ob und wie sie sich auch mit dem Prüfauftrag zu Themen der Reproduktionsmedizin beschäftigen soll, scheint noch offen zu sein.
Aus dem Bundesjustizministerium heißt es, dass es dazu eine gesonderte Arbeitsgruppe geben soll. Das entspricht dem Anliegen von Justizminister Marco Buschmann (FDP). Er steht einerseits dem Versuch skeptisch gegenüber, das Lebensschutzkonzept des Bundesverfassungsgerichtes, nach dem ein Schwangerschaftsabbruch zwar rechtswidrig, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei ist, in Frage zu stellen. Und dafür sprechen ja nicht nur juristische, sondern auch politische Gründe: Niemand wünscht sich eine Lagerbildung entlang der Pro-choice und Pro-life-Linie, wie sie in den USA inzwischen alle anderen Themen überlagert.
Interessenkonflikt ist absehbar
Andererseits drängt gerade auch die FDP bei den Themen der Fortpflanzungsmedizin nach „vorne“: Nichtkommerzielle Leihmutterschaften, Embryonenspenden, Eizellenspenden, etc. Die damit verbundenen ethischen und politischen Fragen sind ebenfalls hochkomplex. Eine Mehrheit für „Fortschritte“ in diesem Bereich ist bei SPD und Grünen aber nicht gesichert. Es ist also in der Kommission ein Interessenskonflikt absehbar.
Das ist heikel, denn er verleitet dazu, „Deals“ nach dem Motto zu machen: Wenn du auf dies verzichtest, verzichte ich auf jenes; wenn du mir dies zugestehst, gestehe ich dir jenes zu.“
Der Kompromiss zum §218 aus dem Jahre 1995 schaffte es, eine in der Tat nicht aufzulösende Spannung zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau erträglich zu machen und eine tiefere gesellschaftliche Spaltung zu verhindern. Ein „Deal“ in einer Kommission, bloß um am Ende ein Ergebnis präsentieren zu können, mit dem die Koalition ihr Gesicht wahrt, würde hingegen dieser Spannung und der Tiefe des Problems nicht gerecht, und auch nicht den ethisch komplexen Fragen um die Fortpflanzungsmedizin.