Leonard Cohen Halleluja

Versöhnung  

»You want it darker«

Wie Leonard Cohen die Bibel zur Trostquelle machte

Der jüdische Poet und Musiker Leonard Cohen durchschritt in seinem Leben viele Täler bis hin in tiefe Depressionen. Trost fand er in den Hoffnungsgeschichten der Bibel, die er in verblüffender Weise in sein eigenes Leben übertrug. Israels König David wurde ihm zum Seelengefährten über die Jahrtausende.

„You want it darker“. Leonard Cohens letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Album wirkt auf den ersten Blick und das erste Hören trostlos. Auf dem Cover blickt er wie durch ein kleines Fenster in die Dunkelheit; man sieht einen alten Mann, cool mit Hut und Zigarette, die Lebenserfahrung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Launig hält er im Titelsong Zwiesprache mit Gott: „Du willst es dunkler. Also lösche ich die Flamme aus.“ Ist das eine Vorahnung seines Sterbens?

Leonard Cohen, der Lichtmystiker

„Darker!“ Das passt so gar nicht zu Cohens Lichtmystik, die durch viele seiner Lieder durchscheint. „There is a crack in everything – thats how the light gets in.“ Diese Zeile stammt aus dem Lied „Anthem“. Darin traut Cohen den Religionen die Macht zu, die Welt zu heilen: Sie sollen die Glocken läuten und die Menschen vom Zwang zur frommen Perfektion befreien.

Trost schöpft Cohen aus einer mystischen Erkenntnis: Etwas muss zerbrochen werden, damit sich das Licht einen Weg bahnen kann und „bevor wir etwas lernen können. Das ist zumindest meine Erfahrung. Vielleicht kann man drumherum kommen, aber ich bezweifle das. Erst wenn das Herz bricht, wissen wir etwas über die Liebe.“

Cohen, der Melancholische. Cohen, der Hoffnungsbarde. Mal wirkt er zerknirscht durch seinen Weltschmerz oder durch enttäuschte Liebessehnsucht. Dann wieder betört er die Menschen mit einer hoffnungsvollen Botschaft: Das Licht wird sich seinen Weg bahnen.

Seelengefährte David

Das Licht hat Cohen selbst oft gesucht – und offensichtlich nicht immer schnell gefunden. Depressive Phasen, Drogenmissbrauch und vielerlei Obsessionen durchlitt er. Eine biblische Figur diente ihm in alldem als Spiegel des Hin-und-Hers von Gottvertrauen und Verzweiflung. David, der erste König Israels. Das erstaunt nicht.

Drei offensichtliche Ähnlichkeiten gibt es: David wusste um die heilende Kraft der Musik. Und: David verfasste tiefsinnige Gebete, die Psalmen, in denen er mit Gott haderte und am Ende doch seiner Anwesenheit gewiss war. Und schließlich: David war ein Frauenheld. Seine Begierde war oft größer als sein eigener moralischer Anspruch.

Mit anderen Worten: Liest Cohen die David-Geschichten der Bibel ist es, als blicke er in einen Spiegel. In sein Notizbuch schreibt er einmal, er fühle sich „wie David gebückt in die Königreiche des Kummers“. Cohen übernimmt die Rolle eines Psalmisten des 20. Jahrhunderts.

In einem Lied setzte er der inneren Zerrissenheit Davids und der eigenen ein besonderes Denkmal: Hallelujah. Ein Song über das Zusammenspiel von Liebe und Besessenheit, Glaube und Verzweiflung. Der Song beginnt mit David – und endet mit Cohen. Vom Du zum Ich, ein typisches Stilmittel in Cohens Lyrik.

Und inmitten der Fesselung durch die Begierde, inmitten einer ausweglosen Situation – da kommt noch immer ein leises und gebrochenes Hallelujah über die Lippen. Die Botschaft ähnelt der vom Riss, der die Finsternis durchzieht: In der größten Ausweglosigkeit ist Gott dabei. Ein Halleluja tröstet.

Mit großem Gottvertrauen und den Hoffnungsgeschichten der Bibel im Kopf und Herzen durchmisst Cohen die tiefsten Depressionen und Täler. Nicht nur die der Tora, der Heiligen Schrift des Judentums. Auch Jesus erscheint ihm wie ein Retter.

Mit dichterischer Freiheit stellt Cohen sich vor, Jesus würde von einem hohen hölzernen Turm aus Ausschau nach Ertrinkenden halten und ihnen Hoffnung zusprechen: Sie würden lernen, so wie er auf dem Wasser zu gehen. Der Jude Leonard Cohen wählt sich den Juden Jesus von Nazareth zum Hoffnungsspender. Beachtlich.

Gott macht es heller und dunkler

Wer Cohens Songs und Gedichte aus diesem Blickwinkel durchforstet, merkt: Der Ausspruch „We kill the flame“ auf seiner letzten CD ist eher einem momentanen Seelenzustand Cohens entsprungen. Der verwunderte in seiner scheinbaren Striktheit auch Freunde. Etwa den Berkeley-Professor Peter Dale Scott, der ebenfalls Gedichte schrieb. Im Oktober 2016 widmete er Cohen sein Buch „Walking of Darkness“ und nahm Bezug auf dessen CD „You Want It Darker“.

Scott schreibt: „Wenn du es dunkler willst / ist dieses Buch nichts für dich / Ich wollte es stets leichter / Und ich glaube, Gott auch.“ Cohen nahm die Aussage seines Freundes etwas spitzzüngig auf. „Du und gott seid kumpel“, entgegnet er, „du weißt, was er nun will / da steht der gebrochene hiob voll blut / der ihm ins antlitz sah“. Und Cohen zitiert die Tora: „Er wird es dunkler machen er wird es heller machen.“

Ein geistvoller Mailwechsel über Gottes Wesen entsteht zwischen den beiden, den Cohen erstaunlicherweise mit einem Jesus-Zitat aus der Bergpredigt beendet: „Selig sind die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Leonard Cohen in Übergröße: Ein Wandbild in Montreal, der Geburtsstadt des Künstlers

Fotos: © Route66/shutterstock.com, © marcinswiostek/shutterstock.com, © Colin Woods/shutterstock.com


Mehr über Leonard Cohen und seine Spiritualität:

Uwe Birnstein Leonard Cohen Buch

Uwe Birnstein: »Halleluja«, Leonard Cohen!

132 Seiten, gebunden
Verlag Neue Stadt
ISBN 978-3734612336


Uwe Birnstein

Der Theologe Uwe Birnstein (*1962) arbeitet seit 40 Jahren als Journalist für Print- und Onlinemedien, Radio und Fernsehen. Der SPIEGEL-Bestsellerautor schrieb bislang mehr als 30 Sachbücher. In seinen letzten Veröffentlichungen widmet er sich den religiösen Spuren in der Popmusik, u.a. im Werk von Leonard Cohen, Bob Dylan und Udo Lindenberg.

Foto: © Maren Kolf – www.maren-kolf.de

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