Warum es fatal ist, so weiterzumachen wie bisher
Im Juni und Juli 2022 gab es zwei Jahrestage, die in gewisser Weise zusammenhängen, obwohl zwischen den zugrundeliegenden Ereignissen 29 Jahre vergangen sind. Zwei Jahrestage – ein Thema: Im Juni jährte sich zunächst die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention zum 30. Mal. 1992 in Rio de Janeiro wurde das Internationale Abkommen zum Schutz des Klimas unterzeichnet. Im Juli jährte sich dann zum ersten Mal die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit mehr als 180 Toten und Sachschäden in Höhe von 40 Milliarden Euro. Hierbei handelte es sich um eines jener Extremwettereignisse, deren Häufigkeit und Intensität durch den Klimawandel zunehmen.
In den vergangenen gut 30 Jahren erschienen seit 1990 sechs Sachstandsberichte des Weltklimarats, in denen der jeweilige Stand der Forschung zu Ursachen und Folgen des Klimawandels zusammengefasst wurde. Und seit 1995 gibt es jährlich eine UN-Klimakonferenz. Das Wissen um die Ursachen der Erderwärmung ist da und kann als wissenschaftlich gesichert gelten. Das zentrale Problem lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Menschen verbrennen zu viele fossile Rohstoffe und produzieren damit Unmengen Kohlendioxid, welches die Erwärmung der Atmosphäre zur Folge hat.
Parallel zum immer besseren Verständnis um die Wirkungszusammenhänge wurde der Klimawandel auch in Europa in zunehmendem Maß tatsächlich spürbar. Der Sommer 2003 erhielt noch das begeisterte Prädikat „Jahrhundertsommer“. Inzwischen bringt fast jedes Jahr einen „Jahrhundertsommer“ als neuen „Standardsommer“. So auch 2022: Es war (wieder) zu heiß. Es war (wieder) zu trocken. Wälder brannten. In Sachsen. In Brandenburg. In Berlin. Am Hambacher Schloss in der Pfalz. So viele wie noch nie. Es gibt massive Ernteausfälle. Der Rhein war nur noch ein Rinnsal. Klimakrise in Deutschland. So fühlt sich das inzwischen an und das Ende der Entwicklung ist noch lange nicht erreicht. Nebenbei jährte sich die Flutkatastrophe zum ersten Mal.
Was ist zu tun?
Seit mindestens zwei Jahrzehnten ist klar: Die auf der Verbrennung von fossilen Rohstoffen basierende Lebensweise der Menschheit muss umgestellt werden. Es muss mit Energie sparsamer umgegangen werden und die benötigte Energie muss CO2-neutral aus erneuerbaren Quellen kommen.
Und doch gibt es auch 2022 noch Verantwortungsträger, die eine klare Planung für den Umstieg scheuen. Die sich nicht festlegen wollen, wann sie im eigenen Verantwortungsbereich verbindlich CO2-Neutralität erreicht haben wollen. Dies sei nicht machbar. Dies könne man sich nicht leisten.
Häufig endet an dieser Stelle die Debatte.
Doch die Rede von „nicht machbar“ und „nicht leisten können“ impliziert ja weitere Aussagen. Auf den ersten Blick verweigert man „nur“ eine klare Planung für den Ausstieg aus der Verbrennung von fossilen Energieträgern. Eine klare Zielsetzung wird vermieden. Maßnahmenpläne bleiben vage und unverbindlich oder werden erst gar nicht erstellt.
Nicht ausdrücklich thematisiert wird die Konsequenz dieser Entscheidung. Diese lautet: Wir machen weitgehend so weiter wie bisher. Mal schauen, was kommt. Den eigenen Beitrag zur Klimakrise nehmen wir billigend in Kauf. Wir sehen unsere Verantwortung, aber wir nehmen sie nicht wahr. Gegenüber unseren sonstigen Problemen ist die Klimakrise das kleinere Übel. Das leisten wir uns.
Das alles leisten wir uns …
Um der Klarheit willen, was man sich alles leistet, biete ich folgend exemplarisch eine kleine Liste an Katastrophen – allesamt „machbar“ dank Klimakrise und der Weigerung, konsequent und verbindlich schnellstmöglich aus der Verbrennung von fossilen Rohstoffen auszusteigen.
Weltweit sind 1,2° C Temperaturanstieg erreicht. Die Vereinbarung von Paris aus dem Jahr 2015 lautet, dass der Temperaturanstieg möglichst auf 1,5° C begrenzt werden und 2° C nicht überschreiten soll. Bereits das 2°-Ziel hat gegenüber dem 1,5°-Ziel erhebliche Nachteile und massiv erhöhte Risiken. Tatsächlich befindet sich die Erde auf dem Weg zu einer Temperatursteigerung um etwa 3° C. Das ist zwar eine Horrorvorstellung, aber klar absehbar. Das leisten wir uns.
Hitze-Hotspot Deutschlands
Speyer ist Deutschlands Hitze-Hotspot und hatte in den letzten zehnJahren mit durchschnittlich 23 Hitzetagen jährlich einen einsamen Spitzenplatz in Deutschland. Auf den folgenden Plätzen gut vertreten: der Rest der Vorderpfalz. Jeder Hitzesommer bringt in Deutschland tausende Hitzetote. Diese Menschen sterben nicht so spektakulär wie 2021 in den Fluten der Ahr. Ihr Tod geschieht eher leise. Tot sind sie aber auch. Die Anzahl der Hitzetoten lässt sich sicher weiter steigern. Das leisten wir uns.
Das Schmelzen des „ewigen“ Eises an Nord- und Südpol sowie der Gletscher der Hochgebirge lässt den Wasserspiegel der Weltmeere steigen. Die Erwärmung der Weltmeere hat wegen des größeren Volumens des wärmeren Wassers einen weiteren Anstieg zur Folge. Dies lässt sich bereits feststellen. Er wird mittelfristig an den Küsten Land unbewohnbar machen. Das leisten wir uns.
Noch nie wurden in Deutschland mehr Waldbrände verzeichnet als 2022. Mit noch höheren Temperaturen, noch mehr Dürre und noch mehr Totholz vertrockneter Bäume müsste sich die Anzahl der Brände noch weiter steigern lassen. Das leisten wir uns.
Kipppunkte
Jedes Zehntelgrad mehr steigert das Risiko, dass sogenannte Kipppunkte überschritten werden. Kipppunkte bezeichnen Schwellenwerte, deren Überschreiten irreversible Prozesse in Gang setzt und ganze Systeme zum Kippen bringen kann. Die Folgen werden teils regional, teils global gravierend sein. Das leisten wir uns.
Der Klimawandel lässt Extremwetterereignisse wahrscheinlicher werden. Sie treten häufiger und intensiver auf. Mehr und längere Hitze- und Dürreperioden? Intensivere Niederschläge binnen kürzester Zeit? Das leisten wir uns. Letztes Jahr gab’s die Flutkatastrophe in Deutschland. Im Sommer 2022 stand Pakistan zu einem Drittel unter Wasser. Das leisten wir uns.
Junge Menschen wissen, dass ihre Lebensperspektiven ins Wanken geraten. So einschneidend Corona-Pandemie und der russische Krieg in der Ukraine auch sein mögen – die Klimakrise macht ihnen am meisten Angst. Die Lebensperspektive junger Menschen beschädigen wir. Und über zukünftige Generationen denken wir besser gar nicht nach. Das leisten wir uns.
Und nicht zu vergessen: Global lässt sich recht pauschal sagen, dass die Verursacher des Klimawandels im (reichen, industrialisierten) „Norden“ sitzen, während der (ohnehin schon ärmere) „Süden“ die Hauptlasten des Klimawandels zu tragen haben wird. „Klimarassismus“ beschreibt diesen Sachverhalt mit einem Begriff. Das leisten wir uns.
Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Doch dies soll reichen. In gut sechs Jahren ist das CO2-Budget für das 1,5°-Ziel verbraucht, d. h. die Menge an Treibhausgasen, die wahrscheinlich eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5° C erlaubt, wird zu diesem Zeitpunkt in der Atmosphäre sein.
Das aktuelle Jahrzehnt ist für die Begrenzung der Treibhausgase also entscheidend. Je länger man abwartet, desto krasser werden die Anforderungen für immer kurzfristiger erforderliche Veränderungen.
Untätigkeit steigert Handlungsdruck. Billiger wird es dadurch nicht. Und von selbst wird das Problem auch nicht verschwinden. Die vergangenen 30 Jahre seit der Konferenz in Rio haben dies eindrücklich gezeigt. Die Zeit drängt.
Die Rede von „nicht machbar“ und „nicht leisten können“ vernichtet erträgliche Lebensbedingungen. Die Rede von „nicht machbar“ und „nicht leisten können“ lässt mich frösteln. Trotz Hitze.
Es ist schwer, zuversichtlich zu bleiben.
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